1. Reichstag, Weimarer Republik


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Seite 208

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gewünschten Erfüllungskredit zu geben, bestätigt hat, was wir Ihnen von vornherein bei der Annahme des Londoner Ultimatums voraussagten, daß unter diesen Bedingungen, unter denen das deutsche Volk nicht leben kann, es auch keinen Kredit findet. Ich habe den Eindruck,4 meine Damen und Herren, daß die Herren von der Regierung geblendet durch die Scheinerfolge, die Sie sich zuschreiben, zu wenig auf die Bedingungen geachtet haben, unter denen allein schon in London und Cannes die alliierten Staatsmänner bereit waren, uns auch nur jene scheinbaren Erleichterungen zuzugestehen. Wir haben auf Grund der Stimmen, die von drüben schließlich auch bis zu uns herüberklangen, schon im Dezember und Januar aufs eindringlichste gewarnt. Wir sahen, daß es auch dieses mal darauf angelegt war, uns neue Zugeständnisse über Versailles und über London hinaus abzupressen. Deshalb waren wir etwas erstaunt über die Überraschung, ja über die panikartige Bestürzung, die die Note vom 21. März in den Kreisen der Reichsregierung auslöste, jene Note, die der Ausgangspunkt für das neueste Stadium der Kontributionsfrage und der Erfüllungspolitik überhaupt ist, jene Note, in der die Finanzkontrolle und unerhörte neue Steuern und Vermögenskonfiskationen über das Maß des mit Ach und Weh zustandegekommenen Steuerkompromisses hinaus von uns verlangt werden.5 Diesen Teil meiner Ausführungen6 über die von der Regierung der Reparationskommission gemachten Zusagen möchte ich mit dem Satz schließen: Eine deutsche Regierung, die ohne Ermächtigung des Reichstags wesentliche Bestandteile der deutschen Souveränität veräußert, gehört vor den Staatsgerichtshof! Halten Sie die Türen der Reichsbehörden geschlossen7 gegenüber einer Kontrollorganisation, einer fremden Kontrollorganisation, die unter allen Umständen "den geregelten Gang der Verwaltung stören" und "in die Steuergeheimnisse der Privaten eindringen wird!"

(Sehr richtig! rechts.)

Meine Damen und Herren! Sie haben geglaubt, mit Ihrer Erfüllungspolitik die Franzosen milder stimmen, die Franzosen gewinnen zu können. Das war eine falsche Einschätzung der Ponderabilien und Imponderabilien auf der anderen Seite. 8 Was sie mit militärischer Macht nicht voll erreichen können, dazu soll Ihnen das im Versailler Diktat geschaffene System der finanziellen Erdrosselung dienen,

(sehr wahr! bei den Deutschnationalen)

dieses System der finanziellen Erdrosselung, für das blutiger Hohn das Wort "Reparationen" erfunden hat.

(Sehr wahr! rechts.)


4S. 7993B
5S.7994B
6S. 7997B
7S. 7999A
8S.8000C

vorige

Nur ein Volk wie das deutsche läßt sich ein solches Wort von seinen Gegner aufreden. Wir nehmen gedankenlos das Wort "Reparationen" in den Mund, während es sich in Wirklichkeit um die Kontribution in der krassesten Form, um die Ausplünderung Deutschlands, handelt,

(sehr wahr! rechts)

die man uns mit der "Reparation" auferlegt hat.

(Unruhe links.)

Ich will es Ihnen nicht mit meinen Worten sagen, um Ihre Unruhe nicht zu erneuern, aber ich will es Ihnen in den Worten eines Italieners sagen, Francesco Rittis, der in seiner Eigenschaft als italienischer Ministerpräsident die Verhandlungen in Versailles mitgemacht hat. Die Reparationen sind, wie Ritti schreibt,

"Deutschland auferlegt worden entgegen den proklamierten Prinzipien der Entente, den 14 Punkten Wilsons, die die Grundlage des Friedens bildeten."
Er stellt weiter fest: daß die "Reparationen" gewollt wurden, nicht so sehr eines wirtschaftlichen Vorteils wegen, sondern um Deutschland zu ersticken, es unter dem Joch einer unerträglichen Kontrolle zu demütigen und es unter dem Gewicht von Lasten zu töten, die seine Kräfte übersteigen,

(Hört! Hört! rechts.)

Er fügt hinzu:
Daß auf den Verträgen basierende Programm, dessen Exekutive in den Händen der Reparationskommission liegt, ist ein Programm von Ruinen und Tod.

(Sehr wahr! rechts. - Zuruf des Abgeordneten Dittmann: Das hätten Sie eher bedenken sollen! - Abgeordneter Dr. Becker: Was nützt das alles, Herr Dittmann? - Abgeordneter Dittmann: Er hat kein Recht, so zu reden, seine Politik hat uns dahin geführt! - Gegenrufe rechts.)

Dieses Programm von Ruinen und Tod, meine Damen und Herren, war und ist nur durchführbar, wenn seine Urheber und Betreiber in Deutschland selbst Helfer finden.

(Hört! Hört! rechts.)

In der Annahme des Londoner Ultimatums hat sich die Reichsregierung auf dieses Programm von Ruinen und Tod verpflichtet, nicht weil sie das Programm am deutschen Volk exekutieren wollte. Die deutsche Regierung hat sich darauf verpflichtet, weil sie nach eigener Aussage glaubte, durch den gutwilligen Versuch der Erfüllung diesem Programm die Spitze abzubrechen, dieses Programm aushöhlen zu können. (Zum Regierungstisch:) das war und ist Ihr großer Irrtum. Aber nun, meine Herren von der Regierung, ist es genug und übergenug! Nun müssen auch Sie eingesehen haben, daß die Grenzen der deutschen Erfüllungsmöglichkeit erreicht sind,

(Zurufe von den Unabhängigen Sozialdemokraten: Was nun? Positive Vorschläge!)

daß die neue Unterwerfung unter die neuen Forderungen zur Katastrophe führen muß.


5S.
6S.

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