1. Reichstag, Weimarer Republik


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Seite 209

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(Zuruf von den Unabhängigen Sozialdemokraten: Aufgepaßt! Jetzt kommt es!)

Nur unter einer Voraussetzung - jawohl, meine Damen und Herren -

(fortgesetzte Rufe links: Was nun?)

nur unter der einen Voraussetzung ist in dieser schweren Lage eine Rettung möglich: Man muß draußen begreifen lernen, daß das Wort einer deutschen Regierung seine Geltung hat. Ein Wort, wie es der Herr Reichskanzler am 28. März hier ausgesprochen hat, darf nicht zurückgenommen werden. Man muß draußen im Auslande verstehen lernen, daß hinter einer Weigerung, hinter einer Ablehnung der deutschen Regierung gegenüber solchen uner-hörten Forderungen die letzte Konsequenz steht. Was hat uns soweit heruntergebracht, was hat uns so tief gedemütigt und zu Boden geworfen? - Der Eindruck der Welt, daß mit Drohungen von der deutschen Regierung alles zu erreichen sei. Ich will Ihnen mitteilen, was mir von glaubwürdiger Seite erzählt worden ist über Äußerungen des Marschall Foch nach der ersten Unterhaltung mit unseren Bevollmächtigten zum Waffenstillstand. Es gibt zwei Lesarten. Die eine lautet, er habe gesagt: "Das also ist das Deutsche Reich?!" Die zweite Lesart lautet: "Mit dem Finger am Abzug kann man von diesen Leuten alles erreichen!"

(Hört! Hört! bei den Deutschnationalen.)

Meine Damen und Herren! Solange der Eindruck in der Welt besteht, daß man mit dem Finger am Abzug von einer deutschen Regierung alles erreichen kann, solange gibt es keine Rettung. Der Weg zur Rettung wird sich uns zeigen, wenn eine deutsche Regierung da ist, die gegenüber dem Unerfüllbaren Rückgrat zeigt. Die Rettung wird kommen, wenn die Welt begriffen hat, daß sie es in Deutschland wieder einmal - lassen Sie mich das mit einem Wort zusammenfassen - mit Männern zu tun hat!

(Stürmischer anhaltender Beifall rechts. - Lärm links. - Erneuter Beifall rechts. - Händeklatschen auf den Tribünen.)

Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stoecker.

Stoecker, Abgeordneter:9 In der jetzigen Debatte erleben wir wieder einmal einer jener widerlichen Entrüstungskomödien der nationalistischen Kreise bis weit in die bürgerlichen Parteien hinein. Nur in der deutschen Republik und im deutschen Reichstag ist es möglich, daß ein derartiger Bankerottminister und Kriegsverbrecher wie Helfferich eine solche schamlose Rede halten kann, wie wir sie eben hören mußten. Helfferich sprach von der schrankenlosen Willkür und der brutalen Unterdrückungspolitik unserer "Feinde". Herr Helfferich, wo war Ihr Protest bei der brutalen Unterdrückungspolitik des kaiserlichen


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deutschen Regimes während des Krieges? Wo war Ihr Protest bei der Deportation Tausender Arbeiter und Frauen in Belgien? Wo war Ihr Protest bei den Zerstörungen der Fabriken und Bergwerke in Frankreich, in Belgien, in Polen, in Rußland, und wer weiß, wo sonst noch in der Welt der preußische Kommißstiefel während des Krieges herumgetrampelt hat? Wo war Ihr Protest, als Tausende von Lothringern ins Gefängnis geworfen wurden? Wo war Ihr Protest während des schrankenlosen U-Boot-Krieges, als Tausende von Frauen und Kindern auf den Meeresboden torpediert wurden? Wir fragen weiter, Herr Helfferich: wo war Ihr Protest bei den Massenerschießungen in der Ukraine durch Ihren General v. Hoffmann? Wo war Ihr Protest bei den Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk, als Ihr General v. Hoffmann mit dem Säbel auf dem Verhandlungstisch herumfuchtelte? Wo war, so fragen wir weiter, Ihr Protest bei dem Schandfrieden, als das rumänische Volk von dem deutschen, Ihrem Militarismus vergewaltigt und unterdrückt und niedergetrampelt wurde? Wo war weiter Ihr Protest, Herr Helfferich, der sie heute so gegen die Besatzungskosten der Truppen im Rheinland wettern, wo war Ihr Protest, als die Städte Belgiens und Frankreichs eine nach der anderen gebrandschatzt wurden durch Ihren Militarismus, durch Ihre brutale Vergewaltigungspolitik? Wenn Herr Helfferich dann von dem "stärksten Hort des Friedens", der Deutschland gewesen sei, sprach, so lachen ja über diesen Witz selbst die Hühner. Wir bestreiten den nationalistischen Kreisen und insbesondere Herrn Dr. Helfferich, wir bestreiten auch den bürgerlichen Parteien jegliches moralisches Recht, gegen die Politik der Entente am Rhein und die Handlungsweise der Besatzungstruppen zu protestieren. Jawohl, die rheinische Bevölkerung leidet unter der Besatzung, die Bevölkerung im Saargebiet ist entrechtet. Aber, meine Herren, Sie haben kein Recht dagegen zu protestieren.

(Zuruf von den Deutschnationalen: Das haben Sie bloß!)

Vizepräsident Dr. Rießer: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sollmann (Köln).10

Sollmann, Abgeordneter: Meine Damen und Herren! Unzweifelhaft bestehen zwischen dem Reparationsproblem und den Nöten der besetzen Gebiete und des Saarlandes große Zusammenhänge.11 Trotzdem glaube ich, müssen wir bedauern, daß die parlamentarische Regie in einer Verkennung mancher Dinge diese gesamten Interpellationen verbunden hat. Dadurch sind gewisse einheitliche Proteste des Hauses, die auf allen Seiten der Versammlung geteilt werden, in den Hintergrund getreten, und der Aufschrei der besetzten Gebiete ist verdüstert worden durch die Debatte, die zum Teil doch nichts anderes als Parteigezänk aus Volksversammlungen war. Ich


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