Sonntag den 25. Juni 1922
Präsident: Wir kommen zur Besprechung der Erklärung der Reichsregierung.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wels.
Wels, Abgeordneter: Meine Damen und Herren! Eine Welle der Empörung und leidenschaftlicher Erregung geht über unser Land.
Wut und Haß vermißte Herr Helfferich am 23. Juni in der Rede des Reichsministers Rathenau: Wut und Haß, blinde Wut und fanatischer
Haß haben jetzt ihr Opfer gefordert.
(Sehr wahr! links.)
Zu Wut und Haß von der Tribüne des Reichstags aufgefordert, haben organisierte Mörderbanden ein Menschenleben gefällt, das sich
opferwillig in den Dienst seines Volkes und Vaterlandes gestellt hat.
(Lebhafte Zustimmung links.)
Die deutschvölkische Hetze zeigt ihre Erfolge, und die Bevölkerung unseres Landes sieht das Unkraut hoch emporwuchern, das jene
in den von uns in harter Arbeit und unter ganzer Hingabe zum Nutzen unseres unglücklichen Volkes bestellten Acker gesät haben.
Die wüßte Rassenhetze der christlichen Gewaltanbeter, soweit sie sich nicht zum teutonischen Wodansglauben bekennen, offenbart
sich als eine Gefahr für die Zukunft unseres Staatswesens, daß sich uns allen der Gedanke aufdrängt: es ist genug; bis hierher und nicht weiter.
(Lebhafte Zustimmung links.)
All den Provokateuren aber sage ich das eine: dieser Jude, den sie gefällt haben, er war ein so guter Deutscher, wie nur je einer
im deutschen Lande einmal geboren worden ist.
(Sehr wahr! links.)
Dieser Jude war ein wahrer Christ, weit eher, als einer von denen sich so nennen darf, die heute die Mörderbanden im Lande bewaffnen und besolden,
(sehr wahr! links!)
weit eher auch, als alle die christlich Deutschnationalen, die die politischen Meuchel-mörder der Vergangenheit feierten, die
über das mißglückte Attentat auf Scheidemann höhnten, und die diese vergiftete Atmosphäre geschaffen haben, in der allein diese Tat reifen konnte.
Wir haben davor gewarnt, durch Mittel der Demagogie unser Volk in immer tieferes Unglück zu stürzen. Unsere Mahnrufe und
Warnrufe sind ungehört verhallt, und darum verzichte ich heute darauf, das nochmals zu tun. Aber hören Sie die Stimme des
Toten, hören Sie, was er, der heute mit zerrissenem Körper auf dem Totenbett liegt, prophetisch als die notwendige Folge dieses
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demagogischen Treibens erkannte: Hören Sie die Anklage, die der Tote Ihnen ins Gesicht ruft und halten Sie Einkehr! Es war im
November vorigen Jahres, als der formell der Deutschen Volkspartei angehörende Abgeordnete Quaatz in einem Artikel die Behauptung
aufstellte, das Wiesbadener Abkommen, das der Verstorbene getätigt und das die Zustimmung des Reichstags gefunden hat, sei schuld
am Sturz der Mark, und der Tribut hätte sich um eine Goldmilliarde durch seine Schuld erhöht. Darauf antwortete Rathenau in einem Zeitungsartikel:
Wenn unter Demagogie das Wirken zu verstehen ist, das, auf unzutreffende Argumente gestützt, mangelhaft informierte Stände und
Massen in verhüllter und unverhüllter Form zu leidenschaftlicher Empörung gegen Menschen und Einrichtungen erregt, so glaube
ich berechtigt zu sein, die Quaatz'sche Kundgebung und was sich auf ähnlichem Niveau bewegt, als demagogisch zu bezeichnen.
Wenn solche Kundgebungen, systematisch und unablässig, ausgestreut, zu aber Tausenden ins Land gehen und notgedrungen zu Ausbrüchen
urteilsloser Leidenschaft führen, so soll man zumindest nicht nachträglich mit ahnungslosem Bedauern der Unschuld die Hände waschen
und sogenannte verblendete von den Rockschößen abschütteln.
(Sehr richtig! links.)
Schon heute gehen diese Dinge ihren Gang. Über ihre Auswirkungen zu reden unterlasse ich.
So hat der Tote im Voraus die Heuchelei verurteilt, die jetzt aus den Spalten der deutschnationalen Presse spricht, wenn sie zu der Mordtat Stellung nimmt.
(Sehr wahr! links.)
Die Deutschnationale Partei hat niemals eine Grenzlinie gegen die sogenannte deutschvölkische Bewegung gezogen, bei der die Mörder zu suchen sind.
(Sehr wahr! links und bei den Deutschen
Demokraten.)
Die deutschvölkische Bewegung ist heute noch ein Teil und, soweit es uns nach außen erscheint, sogar der einflußreichste Teil der deutschnationalen Bewegung.
(Zustimmung und Zurufe links: Wulle!
Wulle ist ja hier!)
Darum, nicht weil wir glauben, daß die offiziellen Führer der Deutschnationalen Partei den politischen Mord begünstigen, machen
wir die Deutschnationale Partei für den Mord an Rathenau verantwortlich.
(Lebhafte Zustimmung links.)
Von dieser Verantwortung kann die Partei sich nur freimachen, wenn sie den Schnitt zwischen sich und den Deutschvölkischen zieht
und wenn sie den Behörden jeden Beistand leistet, um die deutschvölkischen Mordnester auszuheben, und ich frage die
Deutschnationalen - geben Sie Antwort -: sind Sie bereit, das zu tun?
(Wiederholt lebhafte Rufe: Sehr gut!)
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