es mit der Langmut der deutschen republikanischen Bevölkerung zu Ende ist.
(Lebhafte Zustimmung links.)
Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bell.
Dr. Bell, Abgeordneter: Meine Damen und Herren!3 Vergegenwärtigen wir uns die Gesamtsituation, unter der unser Vaterland
außenpolitisch und im Innern zu leiden hat. der furchtbare Druck, der durch das Versailler Zwangsdiktat und das Ultimatum
von London mit seinen ungeheuren und unerträglichen Belastungen in Verbindung mit unaufhörlichen Pressionen und Sanktionen
uns die Kehle zu erwürgen droht, hat bei allen Ständen und Schichten der Bevölkerung das Gefühl tiefer Empörung und dumpfer
Verzweiflung hervorgerufen. Aus dieser heilloser Not konnte nur der Ruf der Sammlung aller schaffenden Kreise, aller der
Rettung des Reiches dienenden Richtungen, nur der Ruf zur Arbeit, zur zielbewussten Gemeinschaftsarbeit Rettung und Befreuung
verheißen. Dieser Sammelruf ist mehr als einmal im Reichstag und an anderen Stellen, vornehmlich bei den kritischen Situationen,
in das Land hinaus gedrungen.
Meine Damen und Herren! Als unser Vaterland infolge des verlorenen Krieges und seiner Folgeerscheinungen fasst einem Trümmerhaufen
glich, als uns die unermessliche Aufgabe gestellt war, dem zu Boden geschmetterten Deutschen Reich aus der größten Not wieder
aufzuhelfen, da gelang es, durch die Reichsverfassung und die durch sie geschaffene Staatsform das Reich vor dem unmittelbar
drohenden Zerfall zu retten, unser Volk und Land vor den entsetzlichen Gefahren des Chaos und der Anarchie zu bewahren. Gern
wollen wir an dieser Stelle anerkennen, daß seitdem ein großer Teil auch derer, die damals der Reichsverfassung ihre
Zustimmung nicht geben können glaubten, sich loyal und korrekt auf den Boden der durchaus legal zustande gekommenen
Reichsverfassung und Republik gestellt hat und jedem gewaltsamen Eingriff entschieden entgegengetreten ist. Im gleichen
Augenblick aber müssen wir erklären, daß vom nationalen und sittlichen Standpunkte kein Wort der Entrüstung, kein Ausdruck
der Empörung stark und scharf genug ist, um das Gebaren derjenigen "Volksgenossen" und das verbrecherische Treiben
derjenigen Kreise zu brandmarken, die sowohl die Reichsverfassung wie das durch sie neugeschaffene Staatswesen mit allen
Mitteln brutaler Gewaltanwendung durch geheime Organisationen zu vernichten suchten. Seit diesem Zeitpunkte reihte sich ein
Mord an den anderen, eine Gewalttat wurde abgelöst durch die andere. Es ist eine traurige Kette der schlimmsten politischen
Verbrechen, unter deren Zeichen unser deutsches Vaterland und die unter den schwierigsten außen- und innenpolitischen
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Verhältnissen neugeschaffene Staatsform gestanden haben. Man vergegenwärtige sich, unter welchem ungeheuerlichen Drucke von
außen her seit Jahren das Deutsche Reich gelitten hat, um das Maß von Gewissenlosigkeit und Vaterlandsfeindlichkeit derer zu
erkennen, die zu den immer unerträglicheren außenpolitischen Belastungen noch die furchtbaren inneren Schwierigkeiten dem deutschen
Volke mit brutaler Rücksichtslosigkeit hinzuzufügen, den traurigen Mut fanden. Demgegenüber glaube ich bei keinem ehrlichen
Politiker, bei keinem gewissenhaften Staatsbürger, gleichviel welcher Richtung, auf Widerspruch zu stoßen, wenn ich zur Kennzeichnung
unserer Stellungnahme ausdrücklich betone: unser deutsches Vaterland, unsere deutsche Reichsverfassung, die wir in schwerster Not
geschaffen haben, und die durch sie geborene Staatsform sollen und dürfen nicht zum Opfer fallen jenen gewissenlosen Kreisen,
denen Gift und Mord als Mittel zum Zwecke brutaler Gewalt und zum Ersatz fehlender sachlicher Argumente dienen.
(Sehr wahr! im Zentrum.)
das deutsche Volk würde an sich selbst verzweifeln müssen, die von uns geschaffene Staatsform wäre zum Untergang reif, wenn sie
nicht in dieser kritischen politischen Situation nachdrücklich und mit fester Entschlossenheit alle diejenigen Maßnahmen ergreifen
würde, die zu ihrem Schutze unentbehrlich sind. Als dann schließlich das Maß voll wurde und durch den ungeheuerlichen Mord, der an
dem Reichsminister Rathenau begangen wurde, da haben selbst die geduldigsten und ruhigsten Politiker sich zu der Erklärung verstehen
müssen: Bis hierher und nicht weiter!
(Sehr richtig! im Zentrum.)
Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Rosenfeld.4
Dr. Rosenfeld, Abgeordneter: Meine Damen und Herren! Mit der Ermordung Rathenaus ist die Schicksalsfrage für die deutsche
Republik gestellt: Monarchie oder Republik!
(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Diese Frage ist aufgeworfen, und ich zweifle gar nicht daran, daß das deutsche Volk nicht zögern wird, sich für die Republik zu entschließen.
(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Die heutige kapitalistische Republik erfüllt gewiß nicht unser Ideal einer Staatsform; aber das deutsche Proletariat weiß genau,
daß die heutige Republik der Boden ist, auf dem besser als in einer Monarchie der Kampf für die Ziele des Proletariats und für den
Sieg des Sozialismus geführt werden kann. Deshalb muß die Republik gesichert und die Wiederaufrichtung der Monarchie verhindert werden.
Der Mord an Rathenau ist ein Attentat auf die Deutsche Republik und nicht das erste Attentat.
4 S. 8300D
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