1. Reichstag, Weimarer Republik


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Kohle und Eisen auf einen wahnsinnigen Stand hinaufgetrieben haben, weit über den Weltmarktpreis hinaus, die diesen Kampf nur zu dem Zweck führen, um ihre Machtstellung in Europa zu festigen

(Abgeordneter Laverrenz: Er ist zu verrückt, um es ernst zu nehmen!)

und dann auf diese Weise mit verdoppelter Kraft nicht nur über das deutsche Volk, sondern über das Proletariat ganz Europas herzufallen und die Saat für neue Kriege zu säen. Das sind die Hochverräter, - jawohl!

(Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Herr Abgeordneter Fröhlich, die Redezeit ist abgelaufen.

Frölich, Abgeordneter: Nur noch ganz kurz! - Wir betonen, daß wir den Kampf gegen Poincaré ganz bewußt führen, weil wir wissen, daß der französische Imperialismus eine furchtbare internationale Gefahr ist.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Am Schluß möchte ich darauf hinweisen, was die Lösung geben kann für alle diese Verwicklungen, für alle die Gefahren, für alle Unterdrückungen, in denen wir leben. Das ist das heroische Beispiel unserer russischen Brüder!

(Lebhafte Zustimmung bei den Kommunisten.)

Heute ist der fünfte Jahrestag der Gründung der Roten Armee, der Armee, die alle verbrecherischen Friedensverträge zerschlagen hat.

(Zurufe rechts: Aha!)

- Jawohl! das werden Sie nicht leugnen. Ihre Leute selber erkennen das an.

(Lebhafte Zurufe von den deutschnationalen. - Gegenrufe von den Kommunisten.)

Diese Leistung ist nur deshalb möglich geworden, weil sie getrieben war von dem Willen eines selbstbewußten starken Volkes, eines selbstbewußten starken Proletariats, das seine Fesseln zerschlagen hat. Das ist die Notwendigkeit! Darin liegt der Kampf gegen Poincaré, daß wir die Fesseln zerbrechen, die uns hier im Innern und in der äußeren Politik beengen!

(Beifall bei den Kommunisten.)

Präsident: Meine Damen und Herren! Im Einvernehmen mit dem Ältestenrat und den noch gemeldeten Rednern schlage ich Ihnen vor, die Beratung über den Haushalt des Reichswehrministers jetzt zu unterbrechen, damit wir noch heute Gelegenheit haben, das Notgesetz zu erledigen. Wir treten also ein in die zweite Beratung des Entwurfs eines Notgesetzes.

Bruhn, Abgeordneter:5 Meine Damen und Herren! Die Not der Zeit erfordert besondere Maßnahmen. Mit dem vorligenden Gesetz sollen sie durchgeführt werden. In dem Art. I werden bestimmungemn getroffen, durch die die Schlemmerei und Völlerei schärfer als bisher bekämpft werden sollen. Wenn die gegenwärtigen gesetzlichen Bestimmungen hinreichend angewandt worden wären hätte es mancher der neuen Bestimmungen dieses gesetzes nicht bedurft

Wenn man dazu übergeht, in Berlin, in der Hauptstadt des Reichs, die Polizeistunde auf 11 Uhr abends festzusetzen so ist das rückschrittlich.6 das bedeutet eine Schädigung des ehrbaren Gastwirtsgewerbes und eine Schikaniererei für die Bürger.

(Zuruf von den Vereinigten Sozialdemokraten: Ist Herr Mumm derselben Meinung?)


5S.9859D
6S.9860A

vorige

- Selbstverständlich ist er das.

(Hört! Hört! und Heiterkeit bei den Vereinigten Sozialdemokraten.)

Mit solchen Maßnahmen kommt man dem Schlemmerwesen nicht zu Leibe. Im Gegenteil, man fördert es und treibt denjenigen die Hasen in die Küche, die nach 11 Uhr aufhaben, die dann eben verboten das Gastwirtsgewerbe weiterbetreiben. Gehen Sie doch abends nach der Polizeistunde in die Berliner Wartesäle oder sehen Sie die erleuchteten Fenster der Fremdenpensionen! Dorthin werden die Leute gedrängt, die aus den Lokalen vertrieben werden. Diejenigen, die es dazu haben, suchen verbotene Nachtschlemmerstätten auf. Mit der Maßnahme, um 12 Uhr zu schließen, kann man einverstanden sein. Es soll jetzt ferner die Machtbefugnis zur Einschränkung der Konzessionserteilung erweitert werden. Nach § 53 der Reichsverordnung waren die Rechte schon sehr weitgehend. Die Polizei ist jetzt schon berechtigt, die Konzession zu entziehen, wenn der betrieb nicht ordnungsmäßig vor sich geht. Das Glücksspiel ist verboten.7 Noch im Dezember 1919 ist von der Nationalversammlung eine Verschärfung des § 284 des Strafgesetzbuchs vorgenommen worden. In Berlin florieren trotzdem die Glücksspielklubs. Die Bekämpfung des Wuchers ist durchaus angebracht. Den geplanten Erweiterungen und Verschärfungen der Strafbestimmungen stimmen wir zu. Aber es muß berücksichtigt werden, das das Streben, größere Gewinne zu erzielen, nicht in allen Fällen mit unlauteren Absichten identisch ist. Vielleicht werden Preisforderungen als wucherisch bezeichnet, die es in Wirklichkeit nicht sind, weil eben der Doller auf den Geschäftsbetrieb des Kaufmanns bestimmenden Einfluß hat.

(Zuruf von den Vereinigten Sozialdemokraten: Also Sie entschuldigen den Wucher?)

- Ich entschuldige ihn nicht, aber man soll nicht alles unterschiedslos als Wucher bezeichnen. Wenn der Geschäftsmann, Herr Abgeordneter Giebel, seine Ware mit 200 bis 300 Prozent Gewinn verkauft und dann trotzdem nicht in der Lage ist, am nächsten Tag dieselbe Warenmenge wieder einzukaufen, ist eben kein Wucherer. Herr Abgeordneter Krätzig hat von den Kartoffelpreisen gesprochen. 8 Ja, Kartoffeln sind das billigste Lebensmittel, das es überhaupt gibt. Die Leute essen weniger Brot oder andere Dinge, sondern Kartoffeln, weil sie billiger sind.

(Erregte Zwischenrufe links.)

In der ersten Hälfte des Oktobers kosteten die Kartoffeln 350 Mark, heute kosten sie durchschnittlich 3000 Mark. Damals stand der Doller auf 1500, heute steht er auf 22 bis 23 000 Mark. Der Kartoffelpreis ist also am das Achtfache, der Dollar um das Fünfzehnfache gestiegen. Ich komme zu unserem Antrag.9 Mit der Bemerkung des Herrn Ab geordneten Krätzig, daß mit diesem Antrag Ausländerhetze beabsichtigt werde, kommt man der


7S.9860B
8S.9860D
9S.9861B

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