1. Reichstag, Weimarer Republik


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Reichstag. - 32. Sitzung. Montag 22. November 1920.

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32. Sitzung. [i]

Montag 22. November 1920.


Präsident Wir kommen zum zweiten Gegenstand der Tagesordnung: Interpellation der Abgeordneten Müller (Franken) und Genossen, betreffend Kapitalverschiebungen nach dem Ausland. Zur Begründung der Interpellation erteile ich das Wort dem Herrn Abgeordneten Müller (Franken).

Müller (Franken), Abgeordneter:1 Meine Damen und Herren! Die Interpellation, hat weit über die Fragen ihres Inhalts hinaus Bedeutung, weil sie die Steuermoral betrifft. Die Finanzen des Reiches sind trostlos; darüber herrscht allgemeine Übereinstimmung. Besserung kann nur erfolgen, wenn die Steuerkraft des deutschen Volkes bis zum äußersten angespannt wird. Wir haben neulich vom Herrn Reichsfinanzminister gehört, daß das Reich zurzeit 288 Milliarden Schulden hat und daß bis zum Ende des Berichtsjahres die 300 Milliarden Schulden erreicht sein werden, ungerechnet der Leistungen, die noch nicht festgesetzt sind und die aus dem Friedensvertrag heraus zu zahlen sein werden. Hier ist ein Rettungsversuch nur möglich, wenn jeder Deutsche bereit ist, die größten Opfer zu bringen.

(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)

Es ist nun einmal so, daß wir die Lasten des Krieges wie Ketten hinter uns herschleppen und die Konsequenzen aus unserer militärischen Niederlage zu tragen haben.

(Sehr richtig! Bei den Sozialdemokraten.)

Die schweren Steuerlasten, die diese militärische Niederlage mit sich brachte, haben in allen Kreisen der Bevölkerung große Mißstimmung erregt.2 Ich will nicht beschönigen, ich stelle das ausdrücklich auch für die Arbeiterkreise fest. Es ist Ihnen ja bekannt, daß aus Arbeiterkreisen in Stuttgart und anderwärts große Bewegungen entstanden sind zur Abwehr des Steuerabzugs, zur Abwehr des Abzugs jenes Zehnten, der rücksichtslos von jedem Arbeiter und von jedem Angestellten erhoben wird. Diese Steuerstreiks sind abgewehrt worden; das war notwendig. Ich sage das ausdrücklich, obwohl ich weiß, wie elend die Lebenslage vieler Beamten, vieler Arbeiter und Angestellten ist, deren Löhne und Gehälter mit den Preissteigerungen nicht Schritt halten. Aber der Steuerabzug ist geltendes Recht, und dem Recht muß Genüge geschehen. Sonst geht die Autorität des Staates vollständig verloren, und die Existenz der Republik würde untergraben. Es ist weiter bekannt, daß in den Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenkreisen auch deswegen Erregung herrscht, weil die Lohnabzüge von den


1 Bd. 345, S.1163D
2 S. 1164B

Festangestellten und von den Arbeitern abgezogen werden, während die Besitzsteuern bis heute zum großen Teil noch nicht eingezogen worden sind. Meine Partei hat immer auf eine beschleunigte Einziehung der Besitzsteuern gedrängt. Ich verkenne die Schwierigkeiten nicht, die der Ausführung der Finanzgesetze entgegenstehen; denn wir wissen ja, daß wir gezwungen gewesen sind, gleichzeitig materiell das Steuerrecht und die Steuerorganisation zu ändern, weil das Reich seit der Finanz- und Steuerpolitik Bismarcks auf indirekte Steuern und Zölle abgestellt war und die direkten Steuern den Einzelstaaten zugewiesen worden waren. Wir waren aber vor allen Dingen auch deswegen für ein schnelleres Einziehen der Besitzsteuern, weil uns bekannt war, daß das Kapital die Tendenz hat, sich der Besteuerung zu entziehen. Wir wissen, daß infolge dieser Tendenz zur Kapitalflucht ungeheure Kapitalien verschoben worden sind, und daß schon während des Krieges - und nicht erst seit der Revolution - die Kapitalisten mit ihrem Geld ins Ausland gegangen sind. 3 Wir wissen aber weiter, daß es nur zu lange möglich gewesen ist, durch das Loch im Westen Kapital nach dem neutralen Auslande in größten Mengen abströmen zu lassen. Endlich wissen wir, daß natürlich diese Kapitalflucht gefördert worden ist durch die Korruption,

(sehr richtig! links)

die Korruption,die ein Kind des Krieges ist und durch den Krieg großgezogen worden ist.

(Große Unruhe und Zurufe rechts: Durch die Revolution!)

- Nein, sie ist kein Kind der Revolution! Ich erinnere Sie daran, daß der Herr Abgeordnete Dr. Stresemann am 22. Oktober 1918 schon vor der Revolution, erklärt hat, "daß beispielsweise in den Fragen der Vergebung von Lieferungen durch das Kriegsministerium gerade im ersten Jahre des Krieges ein System befolgt worden ist, dem wir die Schieberwirtschaft in Deutschland und die Kriegsgewinnlerschaft am allermeisten zu danken haben."

(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten und bei der U.S.P.)

Das hat der Mann der Rechten vor der Revolution bereits festgestellt!

(Zuruf von den Deutschen Demokraten: Das war das Stahlbad!)

Diese Korruption hat natürlich mit dazu beigetragen diese Kapitalschiebungen zu fördern. Mittler in Kapitalschiebungen allergrößten Umfanges ist ein Bankier Grußer gewesen.4

Dieses Bankhaus in der Voßstraße war ein Stelldichein für Kavaliere, Monarchisten und Reaktionäre.5

(Zwischenruf rechts.)

- Herr Dr. Kahl, sie rufen mir "Sklarz" dazwischen. Ich weiß nicht, ob Sie die Hohenzollern dadurch adeln wollen, daß Sie sie fortwährend mit Sklarz in einem Atem nennen wollen.

(Zuruf rechts: Ich habe nichts von den Hohenzollern gesagt!)


3 S. 1164C
4 S. 1164D
5 S. 1165 A/B

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