1. Reichstag, Weimarer Republik


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Reichstag. - 352. Sitzung. Sonnabend den 12. Mai 1923

Seite 284

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352. Sitzung. [i]


Präsident: Wir kommen zum sechsten Gegenstand der Tagesordnung:1

I. der Interpellation der Abgeordneten Hergt und Genossen, betreffend Auflösung der Deutschvölkischen Freiheitspartei
II. der Interpellation der Abgeordneten Hergt und Genossen, betreffend Auflösung sämtlicher Selbstschutzorganisationen
Ich gebe zunächst zur Begründung der Interpellationen das Wort dem Herrn Abgeordneten Graf v. Westarp.

Graf v. Westarp, Abgeordneter, Interpellant: Meine Damen und Herren! Es sind nicht parteipolitische Erwägungen, die uns veranlaßt haben, die beiden Interpellationen einzubringen. Zwischen der Deutschvölkischen Freiheitspartei, auf deren Verbot sich die eine Interpellation bezieht, und uns bestehen bei einer weitgehenden Gemeinsamkeit grundsätzlicher völkischer und nationaler Auffassung gewisse parteimäßige Gegensätze, über die sich auseinanderzusetzen hier nicht der Ort ist, um so weniger, weil es andere grundsätzliche Erwägungen gibt, die uns veranlaßt haben, die Interpellation einzubringen. Der Staatsgerichtshof2S.
stellt fest, es liege gegen die Deutschvölkische Freiheitspartei und die sonst verbotenen Organisationen "Material so bedenklicher Art vor, daß aller Anlaß bestanden habe, die Anordnungen zu treffen." Er zieht daraus einen Schluß; der nun durchaus nicht auf dem Gebiet seiner Zuständigkeit lag; denn er war nicht dazu berufen, politische Werturteile über die Politik eines preußischen Ministers abzugeben,

(sehr richtig! bei den Deutschnationalen)

den Schluß nämlich, es sei ausgeschlossen, daß der Minister Severing einseitig oder absichtlich scharf vorgegangen wäre. Der Staatsgerichtshof wird uns gestatten müssen, über diese Frage wesentlich anderer Ansicht zu sein.

(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)

Der Erlaß des Herrn Ministers3S.
vom 22. März verbietet dem Wortlaut nach die Deutschvölkische Freiheitspartei mit allen ihren Zweigvereinen und Organisationen. Er verbietet also zweierlei, einmal die Partei als solche, andererseits die von der Partei begründeten, mit ihr im Zusammenhang stehenden einzelnen Vereine und Organisationen. Wir müssen uns mit diesen beiden Verboten beschäftigten. Machen wir uns einmal die rechtlichen und praktischen Konsequenzen des Verbotes der Partei und


1Bd. 360,S.10991B
2S.10991D
3S.10992B

der Parteiorganisationen als solcher klar. In einer Beziehung hat sich der Staatsgerichtshof darüber ausgesprochen. Er sagt, der Fraktion der Deutschvölkischen Freiheitspartei würde durch dieses Verbot keinerlei Hindernisse in den Weg gelegt, sie könne ihre Aufgaben im Parlament erfüllen. Dieser Ausspruch trifft, wenn man sich an den Wortlaut und den Inhalt des Severingschen Erlasses hält, nicht zu.

(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen und der Deutschvölkischen Freiheitspartei.)

Auch die Fraktion ist eine Organisation der Partei, und wenn der Severingsche Erlaß seinem Wortlaut nach die Partei mit allen ihren Organisationen verbietet, so verbietet er eben auch die Fraktion

(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)

Daran ändert nichts der Umstand, daß die Immunität des zu einem gewissen Grade die Abgeordneten vor solchem Einschreiten schützt oder doch schützen sollte. Nun darf ich mich darüber auslassen, wie dieses Verbot der Partei und all ihre Organisationen politisch zu beurteilen ist4 . Meiner Ansicht nach steht es mit der Weimarer Verfassung, steht es mit den Grundgedanken unserer parlamentarischen demokratischen Regierungs-weise in krassem Widerspruch.

(Zustimmung bei den Deutschnationalen und der Deutschvölkischen Freiheitspartei.)

Damit sägen Sie (nach links) selbst den Ast ab, auf dem Sie mit Ihrem ganzen parlamentarischen Regierungssystem sitzen.

(Sehr richtig! rechts.)

Damit untergraben Sie selbst die Fundamente dieses Systems. Was für Konsequenzen werden sich daraus ergeben? Wir haben aus sächsischen Zeitungsstimmen gehört: Demnächst wird die Deutschnationale Volkspartei und dann auch die Stinnes-Partei herankommen und verboten werden. Es könnte ja auch einmal die Zeit kommen, wo sich die Dinge umkehren. Ich möchte das Geschrei hören, das Sie dann erheben würden, wenn eine Mehrheit, zu der Sie (nach links) nicht gehören, die Möglichkeit des Parteiverbots gegen Sie anwenden würde.

(Sehr richtig! rechts.)

Wir sind keine Anhänger und Freunde der parlamentarischen Regierungsweise; aber wir haben, wie Sie selbst uns vorzuhalten pflegen und wie wir selbst empfinden, die Pflicht, solange die parlamentarische Regierungsweise besteht, in ihr unsere Arbeit am Vaterland zu leisten, und haben darum das Recht, die Rechte in Anspruch zu nehmen, die diese System nun einmal der Minderheit gewähren;

(sehr wahr! rechts)

und wir tun das, indem wir schärfsten Einspruch erheben gegen das vorliegende Verbot einer Partei als solche und ebenso schärfsten Einspruch erheben gegen das Verbot jeder Organisation bloß aus dem Grunde, weil sie zu einer bestimmten Partei gehört.

(Sehr gut! rechts.)

Dem Herrn preußischen Innenminister scheint ja bei diesem Verbot der Partei, wenn er es sich überhaupt in seinen letzten Konsequenzen richtig überlegt hat, nicht ganz wohl gewesen sein.


4S.10993C

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