1. Reichstag, Weimarerer Republik


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Meine Damen und Herren! Wenn diesen Vorschlägen entsprochen wird, so wird das allerdings einen sehr erheblichen Ausfall im Ertrag der Einkommensteuer geben7 . Darüber bin ich mir nicht im Zweifel. Aber die Einkommenssteuer wird ja eben infolge der Senkung des Geldwertes zahlenmäßig viel höhere Erträge ergeben, als ursprünglich geschätzt wurde. Freilich mag der Herr Reichsfinanzminister für diese Mehrerträge wohl reichlich Verwendung haben. Aber meine Fraktion und ich sehen nicht ein, daß diese Mehreinnahmen, nach denen sich der Herr Reichsfinanzminister sehnt, sehnen muß, angesichts der ungeheuren Fehlbeträge im laufenden Etat und angesichts der gesamten grauenvollen Finanzlage des Deutschen Reiches, daß diese Mehrerträge unbedingt aus den schwächsten Teilen des deutschen Volkes herausgepresst werden müssen. Wir können unsere Hand dazu nicht bieten, daß die Schwächsten bis zum Zusammenbrechen bluten sollen, wenn tagtäglich zu beobachten ist, daß zahlreiche einflussreiche Kräfte am Werke sind, um den Besitz zu schonen und die Besitzsteuern abzubauen.

(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten. - Zurufe rechts: Endlich sind wir so weit!)

- Ich hoffe Sie noch zu befriedigen, Herr Kollege Becker. Sie sollen auf Ihre Rechnung kommen! (Wiederholte Zurufe rechts.) -

Ich verstehe sehr gut, was Sie wollen, oh ja, sehr genau! Meine Damen und Herren! Die Durchführung der Besitzsteuern, die im vorigen Jahr geschaffen worden sind, ist noch ungeheuer weit im Rückstand. Die Besitzsteuerpflichtigen haben nicht nur reichlich Zeit und Gelegenheit gehabt, ihre Kriegsgewinne und Vermögen dem Zugriff der Steuerverwaltung zu entziehen, nein, es hat auch bereits ein planmäßiger Abbau dieser Besitzsteuern begonnen, womit bei den Steuerpflichtigen, die ihre Pflicht noch nicht erfüllt haben, die größten Hoffnungen erweckt werden. Der Herr Abgeordnete Helfferich hat den Ton und die Richtung angegeben für seine Anhänger in der Finanzverwaltung sowohl als auch unter den Steuerpflichtigen. In seiner Rede vom 4. November, die er an dieser Stelle gehalten hat, hat er die fürchterlichen Wirkungen der Besitzbesteuerung in grellsten Farben gemalt, hat davon geredet, daß der Großbesitz durch die Steuergesetzgebung zermalmt werde und daß daher so bald irgend möglich das Besitzsteuergesetz abgebaut werden müsse. Mit diesem Abbau ist begonnen worden. Schon im letztverflossenen Dezember gelegentlich der Novelle zum Notopfergesetz hat der Herr Abgeordnete Helfferich und seine Freunde diesen Abbau in allen Einzelheiten zu erzwingen gesucht. Was damals nicht ganz gelungen ist, wird jetzt nachzuholen versucht. Die dunklen Punkte,8 die der Herr Abgeordnete Dr. Helfferich mit einem großen Aufgebot an Kraft und Geld an der Weste des früheren Reichsministers Erzberger entdeckt haben will, sind, meine Damen und Herren, den Deutschnationalen ein unbezahlbares Gut. Diese Punkte waren das Zaubermittel, mit dem es dem Herrn Helfferich gelungen ist, die Führung in der deutschen Steuergesetzgebung wieder an sich zu reißen.


1S. 2014D
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(Hört! Hört! bei den Sozialdemokraten.)

Und willig folgen die Regierungsparteien von der Deutschen Volkspartei bis zur Demokratischen Partei diesem neuen Führer. Die einzige Fraktion , die hinter dem Reichsfinanzminister im Steuerausschuß steht, ist die in der Minderheit befindliche sozialdemokratische Fraktion.

(Lebhafte Rufe bei den Sozialdemokraten: Hört! Hört!)

Von seiner eigenen Fraktion verlassen - warum? Weil die Zentrumsfraktion, die sich sowohl darauf zugute tut, als Mittelpartei alle sozialen Schichten des Volkes in sich zusammenzufassen,

(sehr richtig! Im Zentrum)

im Steuerausschuß nur vertreten wird durch ihre agrarische und ihre großindustrielle Richtung.

(Hört! Hört! bei den Sozialdemokraten.)

Arbeiterinteressen und Mittelstandsinteressen gibt es für die Vertreter der Zentrumsfraktion im Steuerausschuß nicht mehr.

(Hört! Hört! Bei den Sozialdemokraten. - Rufe aus dem Zentrum: Oho! - Den Mittelstand haben Sie nie vertreten! Sie ruinieren den Mittelstand!)

- Und Sie "schützen" ihn, indem Sie ihn mit den bedrückenden Steuern belasten. Sie "schützen" den Mittelstand, indem Sie die Summe, von denen Sie die Millionäre entlasten, dem Mittelstand aufbürden! Sie werden noch Ihr blaues Wunder erleben mit der politischen Haltung des Mittelstrandes, wenn Sie dieselbe Richtung weiter verfolgen, die Sie bis jetzt verfolgt haben.

(Abgeordneter Dr. Becker: Bis jetzt ist es uns dabei ganz gut gegangen!)

- Bauen Sie nur nicht für alle Ewigkeit auf die Treue des Mittelstandes Ihrer Partei gegenüber. Der erste erfolgreiche Versuch, der unter der Führung des Herrn Abgeordneten Helfferich unternommen wurde zum Zweck der Aushöhlung des Reichsnotopfers, bestand darin, daß entgegen dem geltenden Gesetz, entgegen den Ratschlägen des Herrn Reichsfinanzministers und seiner Mitarbeiter ein Antrag durchgesetzt wurde, nach dem Kriegsanleihen zum Nennwert nicht bloß bis zum 31. Dezember 1920, sondern auf eine lange Frist hinaus, nämlich bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung des Steuerbescheides an Zahlungsstatt genommen werden muß.

(Hört! Hört! bei den Sozialdemokraten - Zurufe rechts.)

Jeder Steuerpflichtige10 , der daran interessiert ist, sein Notopfer mit Kriegsanleihe zu bezahlen, hat Gelegenheit und Zeit genug gehabt und hat sie noch bis zum 31. Januar. Man hat nun die Fristverlängerung damit zu rechtfertigen gesucht, daß den Steuerpflichtigen in den Kriegsjahren das versprechen gegeben worden sei, Kriegsanleihen würde bei der Zahlung von Kriegssteuern zum vollen Nennwert angerechnet werden. Ich glaube, mich zu erinnern, daß der Herr Abgeordnete Dr. Helfferich zu der Zeit, als er Staatssekretär war, noch einige andere Versprechungen gegeben hat. Er hat uns


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2S. 2016A/B

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