1. Reichstag, Weimarerer Republik


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auch versprochen, daß er am Schluß des Krieges die Kriegsrechnung den Feinden präsentieren wolle.

(Sehr richtig! Bei den Sozialdemokraten. - Widerspruch und Zurufe rechts.)

Bitte Herr Dr. Helfferich, wie steht es mit diesem Versprechen?

(Abgeordneter Dr. Helfferich: Ich werde Ihnen antworten!)

Wie steht es mit dem Versprechen, daß die Feinde Deutschlands das Bleigewicht der Milliardenlast durch die Jahrzehnte schleppen sollen, nicht wir?11 Wie steht es mit dem Versprechen, daß man uns herrlichen Tagen entgegenführen wollte? Wie steht es mit den Versprechungen, die man den Kriegsbeschädigten, den Opfern des Krieges gegeben hat? Sie sollten für die Zukunft gegen alle Not geschützt sein. Wollen Sie etwa behaupten, daß diese Versprechungen erfüllt seien?

(Abgeordneter Dr. Helfferich: Ich werde Ihnen antworten!)

Der Präsident der Reichsbank, Herr v. Hafenstein, hat vor einigen Wochen im Steuerausschuß des Reichstags in sehr inständiger und eindringlicher Weise die grauenvolle finanzielle Notlage Deutschlands geschildert und dem Ausschuß zum Bewusstsein zu bringen versucht, wie dringend notwendig die Abbürdung der schwebenden Schuld und die Eindämmung der Papiergeldflut sei. Der Steuerausschuß unter der Führung des Herrn Abgeordneten Helfferich fragt danach nichts, sondern betreibt den Abbau des Reichsnotopfers in der Richtung, daß nicht die schwebende Schuld vermindert, sondern die konsolidierte Kriegsanleihe abgebürdet wird,

(hört! hört! bei den Sozialdemokraten)

und zwar zugunsten der Notopferpflichtigen und auf Kosten des in den Schulden erstickenden Deutschen Reiches.

(Sehr wahr! Bei den Sozialdemokraten, - Abgeordneter Dr. Helfferich: Zwangsanleihe!)

Herr v. Havenstein hat Ihnen keinen Zweifel darüber gelassen, daß er diese Zwangsanleihe neben dem Notopfer binnen kurzem kommen sieht. Ich stimme mit ihm vollkommen darin überein. Die Richtung aber, die Sie (nach rechts) mit Ihrer Steuerpolitik einschlagen, ist die direkt entgegengesetzte. Der zweite Versuch12 , der zum Abbau des Reichsnotopfers gemacht wurde, bestand darin, daß man der Reichregierung Maßstäbe für die Bemessung der landwirtschaftlichen Grundflächen bei der Veranlagung des Reichnotopfers aufzwingen will, die mit dem klaren Sinn des Gesetzes und mit dem in den Ausschussberichten klar ausgesprochenen Absichten des Gesetzgebers in direktem Widerspruch stehen und die zu einer weiteren gewaltigen Entlastung des ohnedies schon weitgehend geschonten landwirtschaftlichen Großgrundbesitzes führen müssen. Nach dem Notopfergesetz soll der landwirtschaftliche Grundbesitz nach seinem Ertragswert bewertet werden. Im Steuerausschuß13 sind in den letzten Tagen in den Debatten über die Wertbemessung landwirtschaftlicher


11S. 2016B
12S. 2016C
13S. 2018D
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Grundstücke oft Klagen darüber gehört worden, daß durch die Steuergesetzgebung, insbesondere das Notopfer, die Vermögenssubstanz angegriffen werde. Wenn aus dieser Steuergesetzgebung ein Ertrag, der den Bedürfnissen des Reiches entsprechen soll, gewonnen werden soll, so ist die Inanspruchnahme der Vermögenssubstanz einfach nicht zu vermeiden. Denn jeder einzelne Deutsche haftet nach Maßgabe seines Vermögens für die gewaltige Schuldenlast, die dem Reich durch den Krieg aufgebürdet ist. Aber wenn schon von den Rücksichten auf die Substanz geredet wird, dann stelle ich als obersten Grundsatz auf, daß die wertvollste und unentbehrlichste Substanz der deutschen Wirtschaft, nämlich die menschliche Arbeitskraft

(sehr wahr! Bei der Sozialdemokratie)

nicht angetastet und nicht zugrunde gerichtet werden darf. Denn wenn das geschieht, dann ist es mit der Steigerung der Produktivität vorbei, dann ist es überhaupt mit der Erholung und der Gesundung des deutschen Volkes und der deutschen Wirtschaft vorbei. Darum: nicht Schutz der Vermögenswerte der deutschen Millionäre, sondern Schutz der Substanz der Arbeitskraft des deutschen arbeitenden Volkes.

(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.)

Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Helfferich.14

Dr. Helfferich, Abgeordneter: Meine Damen und Herren! Meine Freunde hätten darauf verzichtet, bei der ersten Lesung dieses Gesetzes in eine Debatte einzutreten. Sein Inhalt ist, obwohl materiell von erheblicher Wichtigkeit, doch in der Hauptsache so sehr technisch, daß uns seine Vorberatung in der Kommission als das Gegebene erschien vor dem Eintritt in eine Debatte hier im Plenum. Wir hätten umso leichter darauf verzichten können, als wir nicht das Bedürfnis haben, dieses hohe Haus dazu zu benutzen, um Wahlreden loszulassen.

(Sehr richtig! rechts. - Lachen bei den Sozialdemokraten.)

Wir werden auch Wahlreden halten, aber die Wahlreden halten wir draußen. Die Zeit und Arbeitskraft dieses hohen Hauses ist uns zu kostbar, um uns hier auf Wahlreden einzulassen.

(Sehr richtig rechts. - lachen und Zurufe links.)

Wenn ich nun zunächst zum Sachlichen sprechen darf15 , so ist es ja eine eigentümliche Erscheinung, worauf auch der Herr Abgeordnete Keil bereits hingewiesen hat, daß dieses Einkommenssteuergesetz, das ja noch nicht einmal ein Jahr alt ist, schon eine Reihe von Kindern hat, daß es eine ganze Reihe von Novellen hervorgebracht hat. Die jetzige Vorlage will vor allen Dingen einen schweren Mißstand in dem bestehenden Gesetz ausräumen, von dessen Undurchführbarkeit sich die Reichsregierung selbst hat überzeugen müssen, nämlich den Mißstand der doppelten Heranziehung des Einkommens von 1920 zur Besteuerung. Die Einsicht, daß das nicht geht, war bei uns von Anfang an vorhanden. Die Majorität der Nationalversammlung aber


14S. 2019A
15S. 2019B

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