Freitag den 11. März 1921
Die Sitzung wird um 12 Uhr 19 Minuten durch den Präsidenten Löbe eröffnet.
Präsident: Die Sitzung ist eröffnet.
Wir treten in die Tagesordnung ein. Erster Gegenstand derselben sind
Anfragen.
Zur Verlesung der Anfrage Nr. 672, D. Mumm und Genossen, hat das Wort Herr Abgeordneter D. Mumm. 1
Mumm, Abgeordneter: Haushaltsausschuß und Vollversammlung des Reichstags haben wiederholt die Reichsregierung aufgefordert,
alles zu tun, um die stammesfremde Osteinwanderung zu hemmen und die Ostjuden, aus denen viele Wühler und Schieber stammen,
über die Grenze zurückzuschaffen.
Was hat die Regierung daraufhin getan? Wo befinden sich die von dem zuständigen Organ des Volkswillens vor einem halben
Jahre geforderten Internierungslager? Ist die Reichsregierung in der Lage, Ziffern darüber zu geben, wie viele zurückgeschoben,
wie viele interniert worden sind?
In der Stadtverordnetenversammlung von Dortmund kam - um hier ein Beispiel anzuführen - am 7. Februar zur Sprache, daß die
Ostjuden seit neuestem nicht nur in den Stadtteilen rechts der Münsterstraße wohnen, sondern jetzt auch links von der
Münsterstraße. Läßt sich diese Zuwanderung angesichts der Zusammenpferchung der Bevölkerung in den Großstädten verantworten?
Deutschösterreich hält die Ausweisungsbefehle gegen die Ostjuden auch gegen den Einspruch Polens beim Völkerbund aufrecht
und verficht diese Befehle auf der bevorstehenden Tagung des Völkerbundes. Ist das Deutsche Reich gewillt, sein Ausweisungsrecht
gegenüber lästigen Zuwanderern aufrechtzuerhalten.
Präsident: Zur Beantwortung der Anfrage hat das Wort Herr Geheimrat Hering. 2
Hering, Geheimer Regierungsrat im Reichsministerium des Innern, Kommissar der Reichsregierung. 3 Eine Massenabschiebung
unerlaubter Eingewanderter über die Ostgrenze scheitert an dem Widerstand der polnischen Behörden. Im Jahre 1920 hat die
Landespolizei an der Ostgrenze, den ostpreußischen Grenzen und den Binnengrenzen gegen Oberschlesien 11.458 Personen wegen
unerlaubten Grenzübertritts festgenommen. Davon sind 6.169 wieder über die Grenze abgeschoben worden. Die übrigen 5289
Personen wurden teils den
1Bd. 348, S. 2811D
2S. 2812B
3S. 2812C
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Lagern des Heeresabwicklungsamtes Preußen zur Internierung zugeführt, die übrigen sind teils
den Gerichten zur Aburteilung übergeben und nach Strafverbüßung wieder abgeschoben, teils den jüdischen Fürsorgeorganisationen
in Preußen zugeführt worden.
Im Januar 1921 sind rund 2.800 Personen teils am Grenzübertritt verhindert, teils nach unerlaubtem Grenzübertritt wieder
abgeschoben worden.
Zur Internierung solcher fremdstämmigen Ausländer , deren Abschiebung angezeigt, aber nicht alsbald durchführbar ist, hat
die Reichsregierung mehrere Läger zur Verfügung gestellt Der preußische Herr Minister des Innern hat durch Erlaß vom
28. Februar 1921 angeordnet, daß eines dieser Lager, das Lager Stargard in Pommern, das für etwa 2700 Personen Raum bietet,
mit Ausländern zu belegen ist, die auszuweisen sind, aber zurzeit nicht abgeschoben werden können.
Präsident: Zu einer Bemerkung hat das Wort der Herr Abgeordnete Mumm.
Mumm, Abgeordneter: Wie erklärt die Regierung die volle Wirkungslosigkeit, der soeben ausführlich dargelegten Maßnahmen?
(Sehr gut! rechts. - Lachen bei den Unabhängigen
Sozialdemokraten.) 4
Die Ostjudenfrage 5 darf unter uns nicht zur Ruhe kommen, ehe sich nicht eine befriedigende Regelung gefunden hat.
Aus diesen Kreisen kommen die schlimmsten Wühler.
(Lebhafte Zustimmung rechts.- Zurufe auf der
äußersten Linken)
- kein Wunder, daß Sie auf der äußersten Linken für diese Elemente eintreten. Aus diesen Kreisen kommen die aller schlimmsten
Schieber. Diese Kreise mehren die Wohnungsnot bis ins Unerträgliche, sie fördern die Überlastung unserer Gerichte, sie mehren
die Seuchengefahr. Kurz, unter jedem Gesichtswinkel muß dieser Einwanderung gewehrt werden, müssen die Eingewanderten, wo es
nur möglich ist, als lästig zurückgebracht werden, müssen sie bis dahin interniert werden.
(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)
Es ist eine Notwendigkeit, daß auf diesem Gebiet nicht nachgelassen wird, und ich glaube, es für meine Freunde auf der Rechten
sagen zu können: wir werden nicht locker lassen. Wir werden auf diesem Gebiet, sei es im Reichstag, sei es im Landtag,
unsererseits tun, was zu tun möglich ist, um diese Gefahr zu wehren.
(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)
Wir werden insbesondere die Frage zu erörtern haben, wie es mit der Ausführung der Beschlüsse steht, nämlich der Forderung
der Ausarbeitung eines Gesetzes zur Bekämpfung der Schund- und Schmutzliteratur sowie zum Schutz der Jugend bei öffentlichen
Darstellungen und Darbietungen gemäß der Reichsverfassung und im anderen eine Einwirkung auf die Länder, damit der vorhandene
Schutz gegen unsaubere und verrohende Schaustellung auf Schaubühnen, Varietés, im Zirkus usw. zur Geltung komme und der gesetzliche Schutz
gegen unsaubere und verrohende Postkarten, Schriften
4S. 2812C
5S. 2937C
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