1. Reichstag, Weimarer Republik


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Reichstag. - 92. Sitzung. Donnerstag den 21. April 1921.

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92. Sitzung. [i]


Donnerstag den 21. April 1921


Präsident: Wir kommen zum 4. Gegenstand der Tagesordnung, zur Fortsetzung der Beratung des Antrags der Abgeordneten Müller (Franken) und Genossen, betreffend Änderung der Verordnung über die Bildung außerordentlicher Gerichte vom 29. März 1921.

In der fortgesetzten Beratung hat das Wort der Herr Abgeordnete Warmuth.

Warmuth, Abgeordneter: Ich erinnere daran 1 , daß die "Rote Fahne" in ihrer Dienstagsnummer eine Zusammenstellung bringt, in der sie schreibt: 146 Angeklagte zu 537 Jahren Zuchthaus, 57 Angeklagte zu 52 Jahren Gefängnis verurteilt! Das sind Zahlen, die in ihrer Größe natürlich wirken müssen auf denjenigen, der nicht die Einsicht besitzt, hinter diesen Zahlen auch die Verbrechen zu suchen, die diese Strafen hervorgerufen haben. Hinter diesen Freiheitsstrafen türmen sich Verbrechen über Verbrechen, Räubereien, Erpressungen, Geiselver-chleppungen, sadistische Mißhandlungen. Ich brauche im einzelnen nicht darauf einzugehen; die Zeitungen haben ja nach dieser Richtung hin genügend Material gebracht haben, das scheint mir die Schauerschilderungen romanhafter Phantasie aus Wild-West noch weit zurückzulassen. Es wird mir berichtet, daß der Pfarrer Müller aus Helbra, also dem Hauptquartier von Hölz, in Harlekinskostüm durch die Straßen geschleppt und verhöhnt worden ist; man hat vor keinem Terror zurückgeschreckt, Attentate auf Bahnanlagen, auf politische Einrichtungen und dergleichen. In Eisleben hat man fast sämtliche Kaufläden geplündert, nur drei jüdische Kaufläden sind davon verschont geblieben - ich erwähne das lediglich aus Rücksichtnahme auf die statistische Genauigkeit meiner Angaben. In Mansfeld sind über 100 Gebäude zerstört, 30 Werke stillgelegt worden. Die Arbeitslosigkeit, die ohnehin außerordentlich groß und beklagenswert ist, ist auf diese Weise noch erhöht worden. Man rechnet, daß über 20.000 Arbeiter erwerbslos geworden sind.

(Hört! Hört! rechts.)

Die Leuna-Werke sind ganz besonders betroffen worden, und gerade die dortigen Vorgänge sind ganz besonders beklagenswert. Man berechnet den Wert des dort Zerstörten bzw. den Ausfall, den diese Werke erleiden, auf über 100 Millionen, den Produktionsausfall pro Tag auf 4 ½ Millionen, das macht in 4 Wochen, die die


1Bd. 349, S. 3350C

Instandsetzung der Werke in Anspruch nehmen muß, eine ganz ungeheure Zahl. Der Terror hat ja vor allen Dingen auch die Landwirtschaft betroffen. Was ihr an Gut und Geld, an lebendem und totem Inventar weggenommen worden ist, das ist ja ohne Übertreibung auf viele Millionen zu schätzen. Der Terror hat gerade die Landwirtschaft derartig beunruhigt, daß tatsächlich die Landwirte in Thüringen ihre Äcker nur mit Früchten bestellen, von denen sie annehmen könne, daß sie weniger den Zugriffen unredlicher Leute ausgesetzt sind. Es ist irrig, anzunehmen, daß alle diese Erscheinungen wie Blitze aus heiterem Himmel gekommen sind, daß der Terror gewissermaßen jählings aus dem Boden herausgesprungen ist. Es war alles wohlvorbereitet,

(sehr richtig! bei den Deutschnationalen)

durchaus nicht etwa geheim. Die "Rote Fahne" und ähnliche linksradikale Organe haben ja ihre Spalten wochenlang mit der Ankündigung des Putsches, mit der Ankündigung der revolutionären Unruhen gefüllt. Ich darf wohl in diesem Zusammenhang auch noch einmal daran erinnern, wie gerade unsere Interpellation, die sich mit der Propaganda der Bolschewisten in Deutschland vor allem in Anknüpfung an die Russeninternierungslager beschäftigte, den Schleier von dieser bolschewistischen Agitation weggenommen und gezeigt hat, wie aus Moskau alle Fäden herrühren, die das gesamte Netz der bolschewistischen Agitation in Deutschland ausmachen. Wir hören ja so viel von fremdstämmigen Hetzern, um den Ausdruck, den Herr Hörsing gebraucht hat, in einer etwas schamhaften Ausbiegung des wahren Wortes, das er damit im Sinne hatte, anzuwenden. Die östliche Invasion ist eine der traurigsten Erscheinungen, unter denen wir zu leiden haben, weil aus ihr ganz wesentlich die Keime hervorgehen, die zu Exzessen, wie wir sie hinter uns haben, geführt haben. Wenn in der "Roten Fahne" weiter gesagt wird, daß das, was in Mitteldeutschland in die Erscheinung getreten sei, der internationale und deutsche Untergrund, aus dem die Märzkämpfe herausgewachsen sein, das Eintreten der Wiedergutmachungskrise in Paris und London sei, so ist das eine eigentümliche Darstellung, die die wahren Gründe zu verwischen sucht, aber kaum für denjenigen, der nicht mit blinden Augen in diese Verhältnisse hineingeschaut. Ich wiederhole es: was gekommen ist, mußte kommen; es war vorauszusehen. Ich kann bei dieser Gelegenheit der Regierung nicht den Vorwurf ersparen, daß sie alle die vorliegenden Anzeichen, auf die besonders wir Deutschnationalen hingewiesen haben, in den Wind geschlagen hat.

(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)2

Man sehe doch, wie der Kommunismus immer weiter und weiter in Deutschland sich auswächst3 . Der Zuwachs der Stimmen bei den letzten Landtagswahlen kann doch wahrlich nicht der Aufmerksamkeit verloren gegangen sein, und dieser Zufluß nach der äußeren Linken ist doch ganz wesentlich aus den Gewerkschaften erfolgt, aus den linksgerichteten Kreisen, die in der Mehrheits-


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3S. 3351C/D

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