1. Reichstag, Weimarer Republik


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Weltgeschichte ist auf die schnödeste Weise gebrochen worden. Von den 14 Punkten des Präsident Wilson ist nichts und wieder nichts gehalten worden. Jetzt, angesichts des Scheiterns der Londoner Konferenz, hat man eine dritte neutrale Macht ins Spiel gebracht, die uns den Zugang zum neuen Präsidenten Harding ermöglichen soll. Diese von der Regierung geheimgehaltene Macht ist der Vatikan. Ausgerechnet der Vatikan, der während des Krieges 1917 unsere einzige Friedensmöglichkeit zunichte gemacht hat. Meine Damen und Herren! In einer Lage, in der es für unsere Nation, für unser Volk um Leben und Tod geht, betreibt die Reichsregierung eine Geheimdiplomatie ohne mit uns Deutschnationalen überhaupt Fühlung aufgenommen zu haben. In einer solchen Situation in der es um Leben und Sterben dieses Landes geht, wird die volle Entscheidung bedingungslos und vorbehaltlos einem Dritten überantwortet. Diese nationale Würdelosigkeit versteht draußen im Volk niemand mehr.

(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen. - Zurufe bei den Sozialdemokraten: Sie begreifen überhaupt nichts!)

Wir können nur feststellen, daß die an uns gestellten Forderungen der Pariser Beschlüsse über die Grenze der deutschen Leistungsfähigkeit hinausgehen. Wir müssen diesen unzumutbaren Forderungen endlich entgegentreten und sagen: bis hierher und nicht weiter! Jede Gewalt hat schließlich eine Grenze, wo kein Volk sie mehr ertragen kann. Diese Grenze muß die Regierung klar und deutlich ziehen. Solange der Feind nicht die äußerste Grenze unserer Leistungsfähigkeit deutlich von uns gezogen sieht, eine Grenze die nicht von uns überschritten werden wird, die Grenze, bei der wir tatsächlich sagen: komme was da wolle, weiter gehen wir nicht! -, solange sind wir bei dem Ende dieses Schacherns und Verhandelns nicht angelangt. Anstatt diese Grenze zu ziehen, weichen wir Schritt um Schritt zurück, sobald der andere mit der geballten Faust vor uns steht. Wir sinken vor ihm in die Knie und überbieten uns selbst mit finanziellen Gegenvorschlägen - und die Faust saust trotzdem auf uns nieder! Was ist die Wirkung dieser Politik des Zurückweichens und Nachbietens? Je mehr wir den Forderungen der Feinde nachgeben, um so mehr legen sie drauf. Wenn der französische Ministerpräsident jetzt fortgesetzt von der Faust spricht, die auf Deutschland niedersausen werde, mit der er Deutschland am Kragen packen und zum Zahlen zwingen werde, wenn er uns den "Gerichtsvollzieher" und den "Gendarmen" ins Haus schicken will -

(Abgeordneter Hildenbrand: Hat der Kaiser nicht auch ständig mit der gepanzerten Faust gedroht?)

Ja, er hat in berechtigter Entrüstung gedroht, als in China während des Boxeraufstands der deutsche Gesandte ermordet worden war. Er mußte dies tun, um den anderen zu zeigen, daß Deutschland ein starkes Schwert besitzt. Hinter diesem Schwert aber stand der Wille zum Frieden. Was aber steht hinter den Drohungen Briands und seiner geballten Faust? - Für mich das Verächtlichste auf der ganzen Welt: einem wehrlosen fortgesetzt mit Gewalt zu drohen. Meine Damen und Herren! Mit der bisherigen Politik des Zurückweichens und Drauflegens sind wir nur immer tiefer ins Unglück gekommen.


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(Abgeordneter Haußmann: Was würden Sie denn getan haben? )

- Herr Haußmann, darüber bin ich Ihnen hier keine Auskunft schuldig.

(Sehr gut! bei den Deutschnationalen.- Lachen und Zurufe bei den deutschen Demokraten und links.)

Sie gehören doch zu den Regierungsparteien. Ich könnte sagen, geben Sie doch die richtige Antwort!

(Sehr gut! bei den Deutschnationalen.)

Meine Damen und Herren! Es ist die letzte Stunde, diese verhängnisvolle Politik zu ändern und zu sagen: bis hierher und nicht weiter! Gegen eine solche Versklavung des deutschen Volkes müssen wir uns mit Zähnen und Klauen wehren. Wenn im Parteiorgan des Vorwärts heute zu lesen ist, wenn unser Angebot an die Siegermächte nicht reicht, dann müssen wir eben nachlegen-

(Große Unruhe und Zurufe rechts)

dann sage ich Ihnen: Glauben Sie bloß nicht, daß die Frage des Bezahlens etwa nur eine Frage der reichen Leute sei. Das können Sie leicht in Ihren Volksversammlungen draußen den Leuten einreden. Wenn Sie und die Kommunisten draußen den Leuten zurufen, die Besitzenden sollten bezahlen, dann sage ich Ihnen, das Bezahlen ist nicht nur eine Angelegenheit der Leute, die Sie "Kapitalisten" nennen, sondern das ist eine Angelegenheit des ganzen deutschen Volkes.

(Zurufe links: Für Euren verlorenen Eroberungskrieg! - Gegenrufe rechts.)

Wenn von uns verlangt wird, die Produktionsgüter, unsere Produktionsmittel, an den Feind auszuliefern, dann ist davon auch der deutsche Arbeiter betroffen. Der Arbeiter tut mir leid, der glaubt, davon sei nur der Industrielle betroffen. Meine Damen und Herren! Nehmen wir uns ein Beispiel an unseren tapferen Vorfahren und lesen nach in Treitschkes "Deutscher Geschichte". So wie sich unsere Vorfahren gegen die Zumutungen Napoleons zur Wehr gesetzt haben, so werden wir uns den Zumutungen Briands widersetzen. Die Weltgeschichte war mit unserer Niederlage und dem Frieden von Tilsit im Jahre 1807 nicht zu Ende und sie wird auch mit dem Versailler Diktat und den Pariser Beschlüssen des Jahres 1921 nicht zu Ende sein!

(Stürmischer Beifall und Händeklatschen rechts. - Händeklatschen auf der Tribüne.- Große Unruhe und Zurufe links. Glocke des Präsidenten.)