1. Reichstag, Weimarer Republik


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Seite 69

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Dr. Helfferich, Abgeordneter: Meine Damen und Herren! Unsere Opferbereitschaft hat ihren Grund in der Verantwortung für das deutsche Volk, aber nicht in irgendeiner moralischen Verpflichtung gegenüber den Feinden. Das ist es, was wir an den Ausführungen des Reichsaußenministers bedauern, daß aus ihnen immer ein Unterton herausklingt , als ob er selbst überzeugt sei, daß Deutschland hier moralisch etwas gutzumachen habe, daß Deutschland moralisch den anderen Ländern etwas schuldig sei.

(Zuruf links: Selbstverständlich!)

- Sie sagen "selbstverständlich".

(Zuruf links: ja!)

und damit tun Sie wieder das, was mich und alle guten Deutschen an Ihnen so empört, Sie liefern den anderen die Waffen! Sie versorgen den Feind mit Argumenten!

(Lebhafte Zurufe links.)

Das hängt ja zusammen mit der Schuldfrage, die ich eben erwähnte. Wir müssen darauf bestehen, daß vor allen Dingen und mit dem größten Nachdruck die moralische Reinigung Deutschlands vorgenommen wird.

(Bravo! rechts. - Stürmische Zurufe links.)

Ich habe den Dingen näher gestanden als die meisten aus diesem Hause,

(Zuruf links: Leider!)

und ich glaube, gerade weil ich den Dingen näher stand, weil ich in vieles hineingesehen habe, was anderen verborgen ist, weil ich an manchem mitgewirkt habe, worüber heute noch Dunkel schwebt, deswegen bin ich mehr als mancher andere berufen, in dieser Sache mitzusprechen.

(Lebhafte Zurufe links.)

Ich kann Zeugnis ablegen und ich werde Zeugnis ablegen,

(Zuruf links: Aber falsches! - Stürmische Zurufe rechts)

freimütig und offen Zeugnis ablegen, wo immer ich kann, für die Motive, die Deutschland vor dem Kriege und während des Krieges geleitet haben. Meine Damen und Herren! Lloyd George, der im Dezember vorigen Jahres ausdrücklich festgestellt hat, daß es im moralischen Sinne keine Kriegsschuldigen gibt, der ausdrücklich festgestellt hat: daß niemand diesen Krieg mit Willen und Wissen herbeigeführt habe, daß man allerseits in den Krieg hineingetaumelt und hineingestrauchelt sei. Diese Worte sind, obwohl ich sie ihm nicht ganz abnehme, denn nach meiner festen Überzeugung gibt es allerdings Leute, aber nicht in Deutschland, die diesen Krieg bewußt herbeigeführt haben, eine deutliche Preisgabe der Schuldlüge. Und dieser gleiche britische Premierminister sagt unserem Außenminister gegenüber: Das Anerkenntnis der Kriegsschuld Deutschlands ist das Fundament des Versailler Vertrags

(Hört! Hört! rechts. - Zuruf von den Sozialdemokraten: hat er nicht gesagt!)

-

Er hat erklärt: Deutschland hat im Versailler Vertrag seine Verantwortlichkeit für den Krieg anerkannt,

(Widerspruch bei den Sozialdemokraten; Zuruf rechts: Doch!)


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Deutschland ist verpflichtet, die volle Verantwortung zu tragen; wenn Deutschland seine Schuld am Kriege bestreiten will, so rührt es damit an das Fundament des ganzen Versailler Vertrags.

(Sehr wahr! rechts.)

Meine Damen und Herren! Das war eigentlich von Lloyd George geradezu die Einladung an unseren Reichsminister des Auswärtigen nun zusagen: Jawohl, die Schuldlüge ist die Grundlage des ganzen Versailler Vertrags, und der Schuldlüge treten wir entgegen. Damit auch Engländer und Franzosen vielleicht einmal anerkennen: Der Versailler Vertrag ist aufgebaut auf der ungeheuerlichsten und ruchlosesten Lüge, auf der jemals in der Weltgeschichte ein solcher Vertrag aufgebaut worden ist. Aber leider hat der Herr Außenminister geschwiegen. Einige Tage später hat er dann erklärt, Deutschland sei ja nicht allein schuldig und es gäbe ja auch noch andere. Mit einer solchen ungenügenden und lahmen Rede konnte er natürlich auf der Konferenz und in der Welt keinen Eindruck machen. So spricht niemand, der sich seines guten Rechts bewußt ist und entschlossen, sein gutes Recht zur Geltung zu bringen. Der Eindruck, der im Ausland dadurch erweckt wurde war: da sitzt der arme Sünder!

(Abgeordneter Müller (Franken): Lloyd George hat zweimal von dem durch Deutschland provozierten Krieg gesprochen; Sie lügen ununterbrochen! - Erregte Zurufe rechts: Pfui! - Große Unruhe. Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Herr Abgeordneter Müller, ich rufe Sie für diesen Zwischenruf zur Ordnung!

Dr. Helfferich, Abgeordneter: Der Herr Abgeordnete Müller scheint kein übermäßig feines Auffassungsvermögen zu besitzen. Wenn Lloyd George zweimal von dem durch Deutschland provozierten Krieg gesprochen hat, dann hat er zweimal davon gesprochen, daß Deutschland die Schuld am Krieg trägt.

(Zurufe bei den Sozialdemokraten: Nein!)

Meine Damen und Herren! Es gibt aber nicht nur eine Schuld am Kriege, von der die Weltbevölkerung meint, daß sie bei uns liege und von der wir uns deshalb zu reinigen haben. Es gibt auch eine Schuld am Frieden.

(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)

Die Schuld, daß der Frieden so ausgefallen ist, daß er zu einem Frieden der schonungslosen, der erpresse-rischen Gewalt geworden ist, die Schuld daran trägt vor allem -

(Zuruf links: Helfferich!)

- natürlich, bei Ihnen muß es immer ein Deutscher sein. Ich sage, die Schuld daran trägt vor allem ein Mann, der von der anderen Seite des Atlantischen Ozeans herübergekommen ist mit einem Koffer, der voll der wunderbarsten Ideale war, ein Mann der einen Frieden der Gerechtigkeit und der Versöhnung, der Völkerverbrüderung verheißen hat, dessen Charakterstärke und vielleicht auch Intelligenz jedoch nicht ausgereicht haben, um diese Versprechungen zu verwirklichen. Was ist von den 14 Punkten dieses Mannes geblieben? Aufgrund dieser 14 Punkte, aufgrund des feierlichsten Versprechens, das je in der Weltgeschichte abgegeben worden ist, hat Deutschland den Waffenstillstand unterzeichnet, und dieses

feierlichste Versprechen der


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