Mittwoch den 27. April 1921
Präsident: Die Sitzung ist eröffnet.
Erster Tagesordnungspunkt: Interpellation Hoetzsch und Genossen zur Londoner Konferenz.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller (Franken).
Müller (Franken), Abgeordneter: Meine Damen und Herren! 1 Seit dem 8. März sind die Städte Duisburg, Ruhrort und
Düsseldorf von Ententetruppen besetzt, weil die deutsche Regierung gegenüber den Siegermächten eine wenig diplomatische,
dafür aber emotional aufgeladene Politik glaubte betreiben zu müssen. Diese bürgerliche Regierung, die ganz nach dem
Geschmack des Besitzbürgertums ist, die glaubte den Siegermächten in London ein unzureichendes Gegenangebot unterbreiten
zu können, wird nun vom Interpellanten Hoetzsch und seinen deutschnationalen Freunden als vollendet würdelos beschimpft,
weil diese bürgerliche Regierung den Ententemächten offenbar noch nicht genug Widerstand entgegengesetzt hat. Dieser
Vorwurf ist ja aus diesen Reihen nichts Neues. Er ist aus den Reihen derer, die die Würde in Erbpacht genommen haben,
auch schon anderen Regierungen gemacht worden. Meine Damen und Herren, wenn sich heute die deutsche Regierung Forderungen
von 226 Milliarden Goldmark gegenüber sieht, die innerhalb der nächsten 42 Jahre zu zahlen sind und dazu noch einer
Exportabgabe von 13 Prozent auf alle exportierten Güter, dann ist das nicht die Schuld derer, die heute regieren,
sondern die Schuld derer, die durch Kriegsverlängerung und Annexionismus den Karren in den Dreck gefahren haben.
Es ist die Schuld derer, die dem Volk immer erzählt haben, nach dem deutschen Sieg, der natürlich fest eingeplant war, würde
alles der Gegner bezahlen.
(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.)
Die Situation ist doch die, daß die jetzigen Vorgänge ebenso wie die Verhandlungen in Spa und die Unterzeichnung des Friedens
alles doch nur Glieder einer Kette sind, und daß am Anfang dieser Kette der Verlust dieses grausamsten Krieges der Weltgeschichte
steht; der Verlust, der verursacht worden ist durch einen eroberungssüchtigen Militarismus und
(Lebhafte Pfui-Rufe und Rufe der Deutschnationalen: Unglaublich! - Lebhafte Zustimmung und erregte Gegenrufe bei den Sozialdemokraten. -
Glocke des Präsidenten.)
Präsident: Meine Herren! Ich bitte um Ruhe!
Müller (Franken), Abgeordneter: - durch die Agitation des durch die Vaterlandspartei politisch verblödeten
deutschen Besitzbürgertums.
(Erneute erregte Zurufe bei den Deutschnationalen.
- Erneute Zustimmung bei den Sozialdemokraten.)
1Bd. 349, S. 3425D
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Meine Herren! Da Sie das alles bestreiten, bin ich gezwungen auf Einzelheiten einzugehen. Sie werfen uns und vor allem Herrn
Erzberger doch immer wieder vor, wir seien für den harten Friedensvertrag von Versailles verantwortlich.
(Zuruf rechts: Genauso ist es!)
Aber, so ist es eben nicht! Den Entwurf zum Frieden von Versailles haben doch Sie (nach rechts) während des Krieges selber
gemacht, und General Foch und Ministerpräsident Clemenceau haben nur Ihr Konzept abgeschrieben, als sie uns den Friedensvertrag diktierten.
(Zuruf bei der Deutschen Volkspartei: Wollen sie so den Friedensvertrag auch noch rechtfertigen?)
Es ist kein Zweifel darüber, daß der Friede von Versailles viel schlimmer ist, als den, den die Regierung des Kaiserreichs
in Brest geschlossen hat.
(Rufe rechts: Na also!)
Aber der Friede von Brest - Litowsk hat Ihnen ja nicht genügt. Ich habe hier die Drucksache 1422 vom 21. März 1918, die einen
Antrag des Grafen Westarp und Genossen enthält, der die Forderung nach Entschädigungen stellt. Sie wollten sich vom Feind die
ganzen Zivilschäden bezahlen lassen. Sie wollten die ganzen Pensionen für die Hinterbliebenen und die Zahlungen für die
Kriegsinvaliden den Gegnern aufbürden, und genau das sind die Dinge, die Foch und Clemenceau von Ihnen abgeschrieben haben.
(Sehr wahr! links. - Zuruf von den Deutschnationalen:
Wer wollte das!)
Es steht in Ihrem eigenen Antrag auf Drucksache 1422.
(Zuruf von den Deutschnationalen: Wo steht das
von den Pensionen?)
- Ich werde es Ihnen vorlesen:
... um rechtliche Mittel dafür zu haben, daß die Fürsorge für die heimkehrenden Krieger auf eine neue Grundlage gestellt, das
Rentenwesen für die Kriegsbeschädigten und -hinterbliebenen ausreichend ausgestaltet, den entlassenen Kriegern für den Übergang
in die Friedenswirtschaft und zum Ersatz der ihnen erwachsenden wirtschaftlichen Schäden Beihilfen gewährt werden können.
(Zurufe von den Sozialdemokraten:
Nun Herr Helfferich?)
Sie wissen nicht mehr, was Sie damals beantragt haben.
(Abgeordneter Dr. Helfferich: Ich saß damals nicht im
Reichstag! - Lachen links.)
- Nein, Herr Helfferich, Sie sind unschuldig, wie immer.
Durch diese Agitation , die ein früheres Kriegsende systematisch unmöglich machte, haben Sie den vollständigen Untergang
des kaiserlichen Deutschlands vorbereitet. Aber es ist bezeichnend, daß die Kreise, die damals diese Auffassung vertreten
haben, auch aus dem Zusammenbruch noch nichts gelernt haben. Der Abbruch der Londoner Verhandlungen wird Ihren Kreisen als
erstes Aktivum der deutschen Außenpolitik gefeiert. Aber ich sage Ihnen, das Rennen in die Londoner Sackgasse ist für die
deutsche Außenpolitik ein Passivum. Die Folgen, die Besetzung der drei rheinischen Städte durch französisches Militär, haben es
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