1. Reichstag, Weimarer Republik


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Erläuterungen zur Sitzung Nr. 201,
1. Legislaturperiode

Der Abgeordnete Mumm behandelt in dieser Sitzung sein Lieblingsthema: Die Zersetzung und der damit einhergehende Niedergang der deutschen Kultur aufgrund von "Unzuchtskapital" finanzierte Schmierentheater sowie die Moral unterminierende Zeitungen. Obwohl er sich mit Antisemiteleien in seiner Rede sehr zurück hält, um sich von Seiten der Linken nicht angreifbar zu machen, ist doch die Rede antisemitisch unterfüttert. "Unzuchtskapital" steht hier pseudonym für jüdisches Kapital mit dem entsprechende, von jüdischen Theaterbesitzern oder Intendanten geführte Theater finanziert würden. Darauf verweist er mit den Begriffen von "Überfremdung" und dem einzudämmenden Zuzug von "Fremdstämmigen" und "Blutsfremden" zu Beginn seiner Rede. Auch der Zwischenruf seitens der Kommunisten, er zitiere die scharfe Kritik an den herrschenden Zuständen doch aus jüdischen Zeitungen, ist ein Hinweis darauf, wie man den Text auch zu verstehen hat. Der Zwischenrufer will auf den Widerspruch in Mumms Denken und Zitieren hinweisen.

Ein weiterer Gedanke, der hier nicht geäußert wird, bei den Deutschnationalen aber immer präsent war, ist die innere Aufrüstung, Mumm nennt es "Volkserziehung" , oder auch die seelische Erstarkung des Volkes, um dem Niedergang Deutschlands entgegenzuwirken, aber auch, um sich innerlich bereit zu machen für den nächsten Waffengang gegen die Deutschland niederringen wollenden Feindmächte. Man war davon überzeugt, daß nur ein Volk, das sich zu sich selbst bekennt und zu seinen nationalen Werten und Kulturgütern, einen solchen Kampf, vergleichbar den Opfern im Ersten Weltkrieg, werde durchstehen können. Diese moralische Ertüchtigung, so sein Anliegen, müsse nicht nur im Bürgertum Platz greifen und bei denen, die über Nacht durch unsaubere Geschäfte zu sagenhaftem Wohlstand gekommen seien, sondern auch bei den Arbeitern. Weshalb er den Kommunisten, die weite Teile seiner Rede gut hießen, dazu aufforderte, in ihrer Einflussspähe, etwa den Arbeiter-Mietskasernen in Berlin, für Zucht und Ordnung zu sorgen.

Objektiv betrachtet, kommt in Mumms Rede wieder die Aversion gegen die neue Zeit zum Ausdruck. Zu Kaiserszeiten wären solche Theater wohl geschlossen oder die Publikation entsprechender Schriften verboten worden. Dennoch schimmert an einer Stelle seiner Rede, die bigotte Moral dieser Kaiserzeit durch, nämlich da, wo er die Hoftheater erwähnt. Die Kommunisten reagierten darauf direkt mit Zwischenrufen, um deutlich zu machen, daß der moralische Verfall wohl in erster Linie bei der Bourgeoisie beheimatet sei und weniger im Proletariat. Und das nicht erst seit der Revolution.

Hierzu auch Mumm in der Sitzung vom März 1921 oder die
folgende Sitzung vom 5. April 1922 , wo Moses (USPD) den "Vergnügungstaumel" etwa beim Sechs-Tage-Rennen" in Berlin kontrastiert mit der Existenznot weiter Bevölkerungsschichten und zudem dem Abg. Mumm eine merkwürdige Moralvorstellung vorhält.

Literaturhinweise