1. Reichstag Weimarerer Republik


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Kapitalverschiebung.11 Da hat sich nun doch der Herr Reichsfinanzminister die Sache etwas leicht gemacht. Der Herr Reichsfinanzminister ist ja ein ganz -

(Zuruf: Ausgekochter! Große Heiterkeit)

ausgezeichneter, geschickter Regisseur. Daß ausgerechnet heute hier von der Parlamentstribüne uns die Mitteilung vom Auswärtigen Amt gemacht werden konnte, ist ein meisterliches Zeichen von Regie, wie überhaupt der Herr Reichsfinanzminister Dr. Wirth ein vorzüglicher Regisseur aus der Erzbergerschen Schule ist.

(Sehr gut! rechts.)

Aber er hat es sich doch etwas zu leicht gemacht, indem er sagte: nach Mitteilung des Auswärtigen Amtes habe Herr Erzberger politische Gelder verwaltet und sie allerdings nach dem Ausland verbracht, es sei nicht erwiesen, daß er es auch mit Privatgeldern so gemacht hat. Damit allein, meine Damen und Herren, wird die Frage nicht geklärt. Es ist dies gerade die Aufgabe des Strafverfahrens, festzustellen, ob von den Summen, die Herr Erzberger für kirchliche und politische Zwecke verwaltet hat, wie man teilweise in der Öffentlichkeit annimmt - ob mit Recht oder Unrecht, lasse ich vollständig offen - etwas in die Taschen des Herrn Erzberger geblieben ist.

(Großer Lärm links und im Zentrum und Rufe: Pfui! Skandal! Unerhört! Gemeinheit! Ehrabschneider! - Glocke des Präsidenten.)

Herr Präsident, ich muß Sie bitten, mich gegen den Vorwurf der Ehrabschneiderei in Schutz zu nehmen.

(Erneute lebhafte Pfuirufe links und im Zentrum. - Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Herr Abgeordneter Graef, Sie haben in einer bedingten Form dem Herrn Abgeordneten Erzberger vorgeworfen, daß er fremde Gelder in seine Tasche gesteckt habe.

(Widerspruch des Abgeordneten Graef. - Lebhafte Zustimmung links und im Zentrum. - Fortdauernde Erregung und Pfui-Rufe.)

- Ich bitte um Ruhe! Der Herr Abgeordnete Graef bestreitet das. Ich werde an Hand des stenographischen Berichts feststellen lassen, was er gesagt hat. Ich werde dann zu seinen eigenen Äußerungen und zu dem gerügten Zwischenruf Stellung nehmen.

Graef, Abgeordneter: Herr Präsident ich habe erklärt - ich kann es ganz wörtlich aus dem Gedächtnis zitieren -: Aufgabe des gerichtlichen Strafverfahrens wird es sein, zu untersuchen, ob von den Geldern, die Herr Erzberger in amtlicher Eigenschaft verwaltet hat, wie in der Öffentlichkeit verschiedentlich - ob mit Recht oder Unrecht, lasse ich völlig offen - behauptet wird, etwas in seiner eigenen Tasche geblieben ist.


11S. 3602D

vorige

(Erneut großer Lärm links und im Zentrum. - Glocke des Präsidenten.

Präsident:Ich bitte um Ruhe!

Graef, Abgeordneter: meine Damen und Herren! Aus diesen Gründen ist meine Partei entschlossen, für den Antrag des Geschäftsordnungsausschusses zu stimmen und der Gerechtigkeit freie Bahn zu lassen. Ich bemerke aber ausdrücklich, daß der Ausgang dieses Verfahrens uns in keiner Weise irgendwie präjudiziert in der Beurteilung des Politikers Erzberger. Wie ich schon vorhin bemerkt habe, ist das Charakterbild des Herrn Erzberger nach unserer Auffassung durch die rechtskräftige Feststellung im Helfferich-Prozeß vollkommen klar gestellt, und hieran kann kein Verfahren etwas ändern.

(Lebhafter Beifall! Bei den Deutschnationalen. - Laute Pfuirufe links und im Zentrum.)12

Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Breitscheid. 13

Dr. Breitscheid, Abgeordneter: meine Damen und Herren! Meine Fraktion kann sich nicht dazu entschließen, dem Antrage des Geschäftsordnungs-ausschusses auf Aufhebung der Immunität für den vorliegenden Fall zuzustimmen. Meiner Fraktion ist gerade im vorliegenden falle die Entscheidung nicht ganz leicht gemacht. Trotzdem aber hält sie an ihrem grundsätzlichen Standpunkte fest, von dem Gedanken ausgehend, daß die Immunität der Mitglieder dieses Hauses nicht ein Privileg der Abgeordneten, sondern ein Privileg des Parlaments als solchen ist und daß nur im äußersten Notfall an diesem Privileg gerüttelt werden darf. Ein derartiger äußerster Notfall würde nach unserer Meinung vorliegen, wenn irgendein Mitglied dieses Hauses unter dem dringenden und durch das vorliegende tatsächlich begründeten Verdacht stände, ein gemeines Verbrechen begangen zu haben oder an einem gemeinen Verbrechen beteiligt gewesen zu sein. Diese Voraussetzung fehlt für den vorliegenden Fall. Wir haben uns deshalb auch nicht über die Frage auseinanderzusetzen, ob die Hinterziehung von Steuern, ob die ganze Angelegenheit Erzberger politisch oder rein kriminell zu betrachten ist.. Wir können uns nicht zu dem Schritt der Aufhebung der Immunität verstehen, weil nach unserer Meinung, selbst wenn wir die Sache als ein gemeines Verbrechen betrachten würden, nach allem vorliegenden Material keine genügenden Verdachtsmomente für das Vorliegen eines solchen Verbrechens vorhanden sind. An dieser unserer Stellungnahme kann auch der Umstand nichts ändern, daß der Herr Abgeordnete Erzberger selbst den dringenden Wunsch ausgesprochen hat, dem Walten der Staatsanwaltschaft nun freien Lauf zu lassen. Weil


12S. 3603B
13S. 3606D

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