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wir eben der Überzeugung sind, daß es sich hier um das Privileg des Parlaments und nicht um das
Privileg des Abgeordneten handelt, darf der Wunsch des einzelnen Abgeordneten nicht maßgebend sein.
Aber meine Damen und Herren,14
wenn man jetzt erklärt: es muß dem Abgeordneten Erzberger eben Gelegenheit gegeben werden,
vor Gericht die Unhaltbarkeit der Behauptungen darzutun, die über ihn verbreitet werden, so sind wir allerdings der
Meinung, daß wir leider keine Sicherheit dafür besitzen, daß die deutschen Gerichte in diesem Falle jenes objektive
Urteil fällen, das erwartet werden muß.
Wenn hier auf den Prozeß Erzberger-Helfferich hingewiesen worden ist, so ist gerade dieser Prozeß für uns einer der Beweise
dafür, daß wir uns leider nicht darauf einrichten dürfen, nun von Gericht wegen den objektiven Tatbestand tatsächlich festgestellt
zu sehen. Es ist sicher bedauerlich, wenn man in irgendeinem Parlament ein derartiges Mißtrauen gegen die Objektivität der Gerichte aussprechen muß.
(Zustimmung.)
Aber die Erfahrung, die wir in dieser Beziehung gemacht haben, und - ich wiederhole - die Erfahrungen, die wir im Prozeß
Erzberger-Helfferich gemacht haben
(sehr richtig! Im Zentrum)
geben uns das gute Recht, derartige Zweifel hier offen zum Ausdruck zu bringen.
(Wiederholte Zustimmung im Zentrum und links.)
Nun hat der Herr Abgeordnete Kahl ja ein wenig die Katze aus dem Sack gelassen. Er hat gemeint: es ist nicht die
Steuerfrage, die hier eine Rolle spielt, sondern es sind vaterländische Erwägungen, die uns den Abgeordneten Erzberger
bekämpfen lassen. Ja, wollen wir noch etwas deutlicher sein: Sie (nach rechts) kämpfen gegen den Abgeordneten Erzberger
als den Vater der Friedensresolution von 1917!
(Sehr richtig! Bei der Deutschen Volkspartei.)
Sehr richtig, das wissen wir.
(Zuruf von der Deutschen Volkspartei: Der Anfang vom Unglück!)
Und daher diese Abneigung gegen einen bürgerlichen Abgeordneten, der aus der Reihe getanzt ist, denn das ist ja das Schlimmste
bei der Sache; wenn die Friedensresolution von einem Sozialdemokraten eingebracht worden wäre, wäre sie nicht halb so
bedenklich als nun, nachdem ein bürgerlicher Abgeordneter einmal eine so plötzliche Anwandlung von Vernunft bekommen hat.
(Heiterkeit links.)
Dieser Mann der Friedensresolution, das ist Ihr Gegner,
(Sehr richtig! Bei der Deutschen Volkspartei.)
Und - ich spreche jetzt nicht persönlich von Ihnen, Herr Abgeordneter Kahl -, aber wer einigermaßen die Presse und die
öffentliche Meinung seit der Mitte des Jahres 1917 verfolgt hat, der weiß, daß diese ganze Meineidskampagne, diese ganze Steuerkampagne
14S. 3607C
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nichts anderes ist als die logische Konsequenz aus jener Abneigung, die so groß geworden ist,
(sehr wahr! Bei den Unabhängigen Sozialdemokraten)
und daß tatsächlich diese Presse die Gelegenheit nur benutzt, nicht irgendeinen Steuerdefraudanten an den Pranger
zu stellen - denn dann brauchten sie nicht auf Herrn Erzberger zurückzugreifen,
(lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten und bei den Unabhängigen Sozialdemokraten)
da gibt es ganz andere mit sehr viel größeren Summen-, sondern der Politiker Erzberger, der Friedensvermittler Erzberger
soll unschädlich gemacht werden mit den schäbigsten Mitteln der Verleumdung.
(Sehr wahr! Bei den Sozialdemokraten, bei den Unabhängigen Sozialdemokraten und im Zentrum.)
Darüber noch Zweifel aussprechen kann nur der, der sich nicht das ganze Bild der Entwicklung dieser Kampagne vor Augen hält,
der sich nicht erinnert an den Helfferich-Erzberger-Prozeß, der sich nicht vor Augen hält, mit welchen Mitteln in Deutschland
jeder bekämpft wird, der es gewagt hat, als bürgerlicher Abgeordneter einmal anderer Meinung zu sein als die übrigen sogenannten
staatserhaltenden Parteien.
(Zuruf des Abgeordneten Ledebour: Das ist "vaterländische Gesinnung". Wie Herr Kahl so
schön sagt!)
Ja, vaterländische Gesinnung! Das Wort "Vaterland" gebraucht man immer dann, wenn man sich scheut, seine wahren Motive auszusprechen.
(Unruhe rechts.)
Meine Herren, der politische Charakter dieses Vorstoßes von Seiten der Rechten ist über jeden Zweifel erhaben. Und nun
vergegenwärtigen wir uns doch einmal, in welcher Art diese widerwärtige Kampagne geführt worden ist. Es ist geradezu wie ein
Kapitel aus einem Hintertreppenroman. Da werden Akten aus dem Finanzamt in Charlottenburg gestohlen, - vorausgesetzt, daß man
das Wort "stehlen" noch aussprechen darf,
(sehr gut! Und Heiterkeit bei den Sozialdemokraten)
denn nach der so überaus klaren Darlegung des hervorragenden Juristen, des Abgeordneten Graef, kann ja vorläufig gar keine
Rede davon sein, daß tatsächlich die Akten gestohlen worden sind.
(Sehr richtig! Bei den Deutschnationalen. -
Lachen links.)
Nein, es hat sie sich jemand geliehen, vielleicht weil es graphologische Studien in den Akten anstellen wollte.
(Heiterkeit links.)
Vielleicht haben die Akten auch Flügel oder Räder gehabt; vielleicht ist durch irgendeine Einwirkung der vierten Dimension
für vorübergehende Zeit dieses Aktenbündel aus dem Schrank verschwunden und nach entsprechender zeit, nachdem es zufällig photographiert war,
(große Heiterkeit links)
wieder hergebracht worden. Ja, Herr Abgeordneter Graef, es heißt doch wirklich die Naivität des Deutschen Reichstags sehr hoch einschätzen, wenn
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