1. Reichstag Weimarer Republik


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Die Deutsche Volkspartei und die von ihr vertretenen Kreise haben während des Krieges gute Geschäfte gemacht und sie sind am Elend des deutschen Volkes auch nach dem Kriege nicht ärmer geworden. Als die Volkspartei bis vor wenigen Wochen noch mit in der Regierung war, hat sie sich um nichts anderes bemüht, als um den Abbau der Besitzsteuern. Sonst hat sie nichts, aber auch gar nichts geleistet.

(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.- Lachen bei der Deutschen Volkspartei.)

Wenn man durch Nichtstun was leisten könnte, dann wäre die Deutsche Volkspartei die ideale Partei für den Wiederaufbau. Im Grunde genommen, handelt es sich bei der Frage um Annahme und Erfüllung des Ultimatums wie bei allen ähnlichen Fragen um zwei verschiedene Grundanschauungen. Bei den Extremen rechts wie links sehen wir die Neigung, ein großes Glücksspiel mit Deutschland zu versuchen und das Schicksal erneut herauszufordern, und alles, aber auch wirklich alles, Sein oder Nichtsein des deutschen Volkes auf eine Karte zu setzen. Die Rechtsparteien wissen ganz genau, daß sie den Untergang des deutschen Volkes heraufbeschwören, wenn sie es auf einen Einmarsch der Feinde ankommen lassen wollten. Aber was macht das ihnen? Nach dem Rezept der Deutschnationalen soll das deutsche Volk lieber bereit sein zu sterben, als entehrt weiter zu leben.

Meine Damen und Herren! Ich rate diesen Herrschaften, deren Sprüche wir noch aus der Kriegszeit kennen, wenn sie nicht mehr unter uns leben wollen, sollen sie sich besser einen Revolver kaufen und ihrem Leben ein Ende bereiten. Wir werden ihnen keine Träne nachweinen. Die Unverschämtheiten aber, die von der deutschnationalen Presse uns täglich ins Gesicht geschleudert werden, lassen uns kalt. Wenn der deutschnationale Dichter Max Weber faucht: die Deutschen seien ein Hundevolk, das nicht einmal mehr anständig zu sterben verstehe, dann lacht das deutsche Volk diesen Phrasendrescher einfach aus. Es ist eine Schande für das deutsche Volk, das es verblendete und verblödete Herrscher in das tiefste Unglück und in völlige Ohnmacht gestürzt haben. Das deutsche Volk ist entschlossen, sich aus diesem Abgrund wieder herauszuarbeiten und die Sozialdemokratie wird ihm dabei den Weg weisen. Wir Sozialdemokraten waren uns stets bewußt, daß nach dem furchtbarsten aller Kriege der Frieden nicht mit einem Zauberschlage kommen würde. Aber eins weiß ich, gleich wie der Krieg auch ausgegangen wäre, wir und sie dort drüben auf der äußersten Rechten, wir wären Todfeinde, so wie wir uns auch gegenwärtig als Todfeinde gegenüberstehen. Erst gestern wieder hat ein Redner Ihres Anhangs in einer Versammlung gesagt, Scheidemann und Erzberger seien Schufte und hätten das deutsche Volk an die Feinde verraten und verkauft. Dazwischen rief man immer wieder: Die Juden, die Juden!

Meine Damen und Herren! Wir fordern aufs entschiedenste, daß die Reichsregierung hiergegen


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einschreitet und die politische Brunnenvergiftung, die hier betrieben wird, endlich einmal mit allen Mitteln rücksichtslos bekämpft.

(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.)

Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Edler v. Braun.

Edler v. Braun (Oberbayern), Abgeordneter: Meine Damen und
Herren!2 Die Regierung hat sich mit der Entwicklung ihres Programms reichlich Zeit gelassen. Mehr als 3 Wochen sind verstrichen, seit sie sich zum ersten Male dem Hause vorgestellt hat, und wir hatten wohl das Recht, zu erwarten, daß nach dem Grundsatz "Gut Ding will Weile haben" das, was sie uns hier vorträgt, auch wirklich etwas Gutes ist, auch wirklich ein Programm ist. Aber wir sind in dieser Erwartung bitter enttäuscht worden.

(Zuruf bei den Sozialdemokraten: Ein Glück!)

Wir sind bitter enttäuscht worden, weil das, was uns der Herr Reichskanzler hier erklärt hat, überhaupt kein Regierungsprogramm gewesen ist. Das war ein Schüleraufsatz über das Thema "Was macht eine Regierung, die in schwieriger Lage nicht weiß, was sie tun soll,

(sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)

und die nicht sagen will, was sie sagen müßte.

(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)

Wir haben anderthalb Stunden lang den Herrn Reichskanzler hier Worte und Gemeinplätze verzapfen sehen, ohne daß irgendeine Klarheit darüber geschaffen worden wäre, was die Regierung überhaupt denkt. Es waren teils Worte, um den Mangel an Gedanken zu verhüllen, und teils Andeutungen, die das nicht voll zum Ausdruck brachten, was die Regierung sich offenbar im jetzigen Zeitpunkt noch nicht zu sagen getraut.

(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)

Meine Damen und Herren! So kann nach unserer Auffassung eine Regierung nicht vorgehen, die durch die Annahme des Ultimatums eine schwere Verantwortung auf sich geladen hat, so kann sie nicht vorgehen; sondern sie muß volle Klarheit über das schaffen, was sie will, und wie sie gedenkt, die Bedingungen des Ultimatums zu erfüllen. Die jetzige Regierung verdankt ihr Dasein dem Ultimatum, also muß sie im Gegensatz zur vorherigen Regierung, die wegen des Ultimatums zurückgetreten war, auch uns die Mittel und Wege zeigen, mit denen sie glaubt, das Ultimatum erfüllen zu können. Was der Herr Reichskanzler über die internationalen Beziehungen ausgesprochen hat, war besonders inhaltslos. Wir hätten zumindest erwarten können, daß er nach der Unterzeichnung des Ultimatums gefordert hätte, das unsere Gegner das Kriegsspielenim Frieden, endlich einstellen.

(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen; Zuruf von den Unabhängigen Sozialdemokraten: Und Eure Bürgerkriegstruppen!)


2 S. 3733A

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