1. Reichstag Weimarer Republik


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verführte Teil des deutschen Volkes geglaubt hat, ist das Wort von der Demokratie gewesen.

(Lebhafte Zustimmung rechts. Lachen links.)

"Werdet nur brave Demokraten, schickt nur eure Monarchen weg, dann bekommt ihr einen gerechten Frieden, dann wird das deutsche Volk wohlwollend in die Reihen der übrigen Völker aufgenommen. Und was haben wir gesehen? Nichts von den Versprechungen ist erfüllt worden! Das Gegenteil ist von dem eingetreten, die deutsche Demokratie ist noch viel schlechter behandelt worden, als jemals die deutsche Monarchie behandelt worden ist.

(Lebhafte Zustimmung rechts.)

Und wenn man jetzt noch daran glaubt: ach, die anderen werden uns schon helfen, - so heißt es in der Welt, wie beim einzelnen: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!

(Sehr gut! rechts.)

Hilf dir selbst, dann wirst du Bundesgenossen haben! Aber wer sich auf andere verläßt, der ist verlassen.

(Sehr richtig! rechts.)

Mit dieser Politik wird man Deutschland niemals wieder in die Höhe bringen, wird man niemals das bewahrheiten, was der Herr Reichskanzler in programmatischer Form zum Ausdruck bringen wollte: der nationale Gedanke könne sich nur auf demokratischer Basis entwickeln.

(Lachen rechts.)

Ach nein, die Lehren der Geschichte sprechen ganz anders. Der nationale Gedanke, der in Deutschland unter der Monarchie so stark war, ist leider unter der Demokratie in einem wilden Chaos verloren gegangen.

(Sehr richtig! rechts.)

Es ist ein Kampf aller gegen alle, ein Gegensatz, der früher niemals möglich gewesen wäre.

(Sehr richtig rechts. - Zurufe von den Unabhängigen Sozialdemokraten: Wie Sie den nationalen Gedanken auffassen!)

In Frankreich hat der nationale Gedanke zum Imperialismus geführt. Dort hat er eben gezeigt, daß er eben mit der Demokratie nicht vereinbar ist. Gerade dort hat er gezeigt, daß er ein ihr wesensfremdes Element ist. Meine Damen und Herren! Ich komme zum Schluß.

(Ironische Rufe des Bedauerns links.)

Meine Frage an den Herrn Reichskanzler lautet klipp und klar: Bestehen in ihrem Kabinett Pläne, die auf einen völligen Zusammenbruch unserer Volkswirtschaft, auf eine Auslieferung unseres Besitzes und der Produktionsmittel an die Sieger hinauslaufen würden? Darüber müssen wir Klarheit haben, dann wird nicht nur unsere Stellung, dann wird die Stellung des größten Teils des deutschen Volkes gegenüber dieser Regierung eine völlig klare sein.

(Beifall bei den Deutschnationalen.)


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Vizepräsident Dr. Rießer: Das Wort hat der Herr Reichsminister für Wiederaufbau Dr. Rathenau.

Dr. Rathenau, Reichsminister für Wiederaufbau: Meine Damen und Herren! Die Erwähnung meines Arbeitskreises und meiner Person durch den Herrn Reichskanzler gibt mir Anlaß, Sie um Gehör für meine Worte zu bitten. Dieser Wunsch wird gestärkt durch die Ausführungen des Herrn Vorredners, auf die ich mir erlauben werde zurückzukommen.5 Sie werden heute von mir weder ein Programm, noch einen Bericht erwarten dürfen.

(Zuruf rechts: Erwarten wir wohl!)

- Es ist zu früh, Sie werden ihn bekommen. - Der Arbeitskreis, in den ich mich einzuleben habe, ist groß, und es würde mir nicht eine Informationszeit von einigen Tagen genügen, um verantwortlich vor Sie hinzutreten. Ich wünsche diesen Arbeitskreis aufs tiefste, gewissenhafteste zu studieren, bevor ich das Recht von Ihnen erbitte, diesem hohen Hause Rechenschaft zu geben von dem, was geschehen ist, und von dem, was geschehen soll.

(Zuruf rechts: Was geschehen ist, ist zu spät!)

- Rechnung gibt man immer nur, wenn etwas geschehen ist. Meine Damen und Herren! Was mich positiv bestimmt hat, die Arbeit als Wiederaufbauminister für die vom Krieg zerstörten Gebiete Frankreichs zu übernehmen, das ist erstens das Bewußtsein, in ein Kabinett einzutreten, das der Herr Reichskanzler als ein Kabinett der Versöhnung bezeichnet hat. Ich bin der Meinung, daß es endlich an der Zeit ist, diejenigen Wege zu finden, die uns mit der Welt wieder zusammenbringen.

(Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten.)

Ich bin überzeugt und weiß es, daß diese Politik von unserem Herrn Reichskanzler verfolgt wird. Ich wäre nicht in eine Koalition eingetreten, von der ich nicht die Überzeugung hätte, daß sie mit allen Kräften entschlossen ist, diesen Weg der Verständigung zu gehen. Das sage ich für alle, diesseits und jenseits der Grenzen. Was mich fernerhin bewogen hat, ist die Überzeugung, daß Frankreich den Aufbau will auch durch uns will. Vielfach wurde gemeint, Frankreich habe kein Interesse daran, die zerstörten Gebiete von uns wieder aufbauen zu lassen, Ich habe mich aber davon überzeugt, daß es ernst ist. Jedem von uns fällt es schwer, in der Lage der Bedrückung und des Leidens, in dem wir uns befinden, objektiv zu bleiben. Diese Objektivität besteht darin, daß wir festzustellen haben, daß Frankreich den Wiederaufbau deshalb will, weil es überaus schwer im Kriege gelitten hat. Es ist Tatsache, daß 370.000 Häuser beschädigt sind und 300.000 zerstört. Es ist zudem Tatsache, daß die französischen Schulden kriegsbedingt gewachsen sind auf 83 Milliarden äußere Ansprüche und zwar in Gold, und 226 Milliarden innere. Es ist Tatsache daß dieses Land eine passive Handelsbilanz von 13 Milliarden gehabt hat.

(Abgeordneter Dr. Helfferich: Jetzt schon wieder eine aktive!)


5 S. 3742A/B

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