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Aber, Herr Dr. Helfferich, Sie werden mit mir übereinstimmen, daß Frankreich den Wiederaufbau mit uns will. Von der Landwirtschaft
sind bisher 50 Prozent wieder hergestellt, von den Lokalbahnen und Brücken 60 Prozent von den Fabriken 30 Prozent, von den durch
unsere Truppen zerstörten Bergwerke jedoch erst 16 Prozent. Wenn aber der Wiederaufbau von der einen Seite gewollt wird, dann
sind wir verpflichtet, ihn zu leisten. Und damit komme ich auf diejenigen Worte, die seine Exzellenz Herr Edler von Braun mir
persönlich gewidmet hat. Seine Exzellenz hat hier ausgeführt -
(Zurufe von den Kommunisten: Hier gibt es keine
Exzellenzen, nur Abgeordnete! -
(Glocke des Präsidenten.)
Vizepräsident Dr. Rießer: Ich mache darauf aufmerksam, Herr Minister, daß es hier nur Abgeordnete gibt, etwaige
Titulaturen werden nach der Übung des Hauses weggelassen.
Dr. Rathenau, Reichsminister für Wiederaufbau: Herr Abgeordneter v. Braun hat Auszüge aus einem Aufsatz verlesen,
den ich veröffentlicht habe. Dieser Aufsatz enthält das, was ich Ihn auch ohne die Verlesung gesagt hätte; nämlich, daß ich
die schwersten Bedenken gegen die Unterzeichnung des Ultimatums gehabt habe. Dem Herrn Reichskanzler und den übrigen
Mitgliedern des Kabinetts ist das bekannt. Aber weshalb habe ich diese Bedenken gehabt? Das hat Herr Braun Ihnen nicht gesagt.
Er hat nicht gesagt, daß es nicht die Zahlen gewesen sind, die ich angegriffen habe, sondern den Index. Diesen Index, mit
seinen 25 Prozent, halte ich allerdings nach wie vor für den unglücklichsten, der gewählt werden konnte. Ich bin davon überzeugt,
daß sich schon heute auf der Gegenseite die gleiche Erkenntnis Bahn bricht, daß dieser Exportindes nicht nur uns, sondern alle
schadet. Bevor ein Unglück geschieht, ist es die Pflicht eines jeden, dringend zu warnen, solange der Verhandlungskampf währt,
wenn nicht, dann weiß ich nicht, was eine ehrliche Überzeugung soll. Wie soll man sich denn verhalten, wenn man gewarnt hat
und die Dinge dann trotzdem geschehen? Soll man sich zurückziehen, schmollen und sabotieren? Sie, meine Herren (nach rechts),
sitzen doch auch hier, obwohl der Vertrag von Versailles unterschrieben worden ist.
(Zuruf rechts: Es bleibt uns nichts weiter übrig!
- Gelächter links und Zuruf: das durfte jetzt nicht
kommen!
Glocke des Präsidenten.)
- Ich glaube nicht an das eben zugerufene Argument, sondern Sie sitzen hier, wie wir alle, um dem Lande zu dienen, und wir
dienen dem Lande vor Versailles wie nach Versailles und vor dem Ultimatum und nach dem Ultimatum. Wer daraus, daß man eine
Entscheidung für falsch hält, die Konsequenz zieht, daß man sich dem Lande versagt, ihm nicht zur Seite steht, dessen Überzeugung,
meine Damen und Herren, verstehe ich nicht.
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(Zuruf rechts: Es ist aber etwas anderes unter diesen Umständen in die Regierung zu gehen!)
- Gerade dann muß man in die Regierung gehen, um das Übel mildern zu helfen. wenn sich kein anderer findet, und wenn einem
gesagt wird: Du mußt, denn du kannst! Dann ist man verpflichtet, auch wenn man Versailles und das Ultimatum erlebt hat.
Und, meine Herren (nach rechts) wenn der Tag kommt, wo Sie Ihrerseits wieder diese Verpflichtungen zu übernehmen haben,
werden Sie ebensowenig wünschen, daß Ihnen solche Vorwürfe gemacht werden.
Die Überzeugung, wie man sich übernommenen Verpflichtungen gegenüber, gleichviel ob sie freiwillig oder unfreiwillig übernommen
sind, zu stellen hat, entnehme ich meinem früheren Wirtschaftsleben. Industrie heißt kaufmännische Anwendung der Technik.
Der Kaufmannsstand der ganzen Welt hat in allen Jahrhunderten auf Vertrauen beruht. Und dieses Vertrauen hat als Symbol das
geschriebene Wort, die Unterschrift. Wenn ein Papier die Unterschrift meines Hauses oder meines Namens oder gar die Unterschrift
meines Volkes und Reiches trägt, dann verteidige ich diese Unterschrift als meine Ehre
(sehr gut! bei den Sozialdemokraten)
und als die Ehre meines Landes.
(Zurufe rechts: Ihres Landes---?)
- Ich halte sie nur für erfüllbar, wenn wir entschlossen sind, uns in tiefe Not zu begeben. Darauf kommt es an.
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten. - Zurufe und Hört! Hört! rechts. - Erregte Zurufe von den Kommunisten: Sie und
tiefe Not---? Sie meinen wohl die Arbeiter!)
Zwischen Nichterfüllen und Erfüllen liegt der Faktor der Not. Die Not hätte ich gerne vermieden, die kommen wird, wenn wir ehrlich erfüllen sollen.
(Erneute Zurufe rechts: Eure Revolution hat uns da hineingebracht So ergeht es einem verführten Volk, das zu früh die Waffen aus der Hand gelegt hat!)
- Es gibt keine absolute Unerfüllbarkeit, denn es handelt sich lediglich darum, wie tief man ein Volk in Not geraten lassen darf.
(Zuruf von den Kommunisten: --- geraten
lassen darf? Das ist die Sprache der Großbourgeoisie.)
Nun glaube ich aber, ebenso wie Sie (nach rechts) es glauben, daß der Index der 26 Prozent, den ich für den gefährlichsten
Teil des Abkommens halte, auf die Dauer nicht bestehen wird. Die Unerfüllbarkeit, von der ich sprach, liegt weniger in dem
jährlich zu zahlenden Fixbetrag von 2 Milliarden Goldmark, sondern in der Härte der variablen Exportabgabe, und diese Härte,
glaube ich, wird gemildert werden müssen.
Meine Damen und Herren! Ich gehöre nicht zu denen, die sich sagen, wir wollen einmal sehen, wie weit es reicht, wie weit
wir kommen. Wenn man etwas schweres vor sich hat, das hart zu erfüllen ist, dann muß man sich sagen: Ich will es unter allen
Umständen. Sie erinnern sich an den Quartettsatz von
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