1. Reichstag Weimarer Republik


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Beethoven: "Der schwergefaßte Entschluß". Er beginnt mit langsamen Tönen: "Muß es sein?" Und am Schluß der Fuge endet er mit einem entschiedenen und kraftvollen: "Es muß sein! es muß sein!" Wer nicht mit diesem "Es muß sein" an seine Aufgabe herantritt, der wird nur den halben Willen zur Lösung aufbringen, und der wird nicht das Recht haben, sich zu entschuldigen, wenn ihm nicht das äußerste gelungen ist, was man von ihm, was er von sich erwartet hat. Je schwerer unsere Leistung sein wird: an ihr wird sich das Vertrauen messen, das wir in der Welt gewinnen. Die Welt besteht nicht zu 100 Prozent aus Chauvinisten.

(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)

Es ist ein Irrtum, zu glauben, daß die Welt aus 1500 Millionen Feinden besteht. Sie enthält genügend objektive Menschen. Millionen von Augen richten sich in diesem Augenblick auf Deutschland und fragen: Was wird Deutschland machen? Wird Deutschland ein Leben der Versöhnung und der Erfüllung führen oder nicht?

(Zuruf rechts.)

- Nein! Nicht ein Leben der Sklaverei, das wollen wir alle nicht, aber die Würde des Schuldners ist, zu zahlen.

(Wiederholte Zurufe rechts. - Erregte Zurufe von der äußersten Linken. - Andauernde große Unruhe. - Lebhafter Wortwechsel zwischen dem Zentrum und rechts.)

- Meine Herren, darf ich fortfahren?

(Wiederholte Zurufe.

- Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident Dr. Rießer: Ich gebe dem Herrn Redner anheim, nicht auf jeden Zwischenruf zu antworten.

Dr. Rathenau: Minister für Wiederaufbau: Meine Damen und Herren! Ich darf also fortfahren. Ich nehme an, daß der Herr Vorsitzende

(Zurufe: Präsident!)

mich darüber belehren wird, auf welche Zwischenrufe ich geantwortet habe. Ich habe auf garkeinen Zwischenruf geantwortet, sondern gewartet, bis es stiller wurde.

(Abgeordneter Ledebour: Es war Ihr gutes Recht darauf zu antworten.

- Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident Dr. Rießer: Auf jeden Zwischenruf zu antworten, ist nicht die Pflicht des Redners.

(Zurufe.)

Ich muß dringend bitten, daß die Herren sich wieder auf ihre Plätze begeben.

Dr. Rathenau, Minister für Wiederaufbau: Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir dürfen fortfahren. Ich nehme sonst Ihre Geduld zu lange in Anspruch.

(Glocke des Präsidenten.)


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Vizepräsident Dr. Rießer: Ich bitte um Ruhe!

(Große Heiterkeit.)

Dr. Rathenau, Minister für Wiederaufbau: Ich habe gesprochen von der Notwendigkeit, eine Unterschrift zu erfüllen. Darüber hinaus ist es nötig, eine Aufgabe zu erfüllen, die nicht nur eine nationale, sondern ein Weltaufgabe schlechthin ist. Es besteht die Wunde am Körper Europas, sie gleicht der Wunde des Amfortas. Sie wird nur geheilt, durch den Speer, der sie geschlagen hat. Nicht früher wird der Friede in die Welt kommen, als bis diese Wunde sich geschlossen hat. Sie wird zum Symbol eines neuen Verständnis der Völker. Es handelt sich also nicht nur um die Erfüllung eines staatlichen Versprechens, sondern es handelt sich um eine autonom aus sich selbst erwachsende Aufgabe, bei der nicht gefragt wird, wie sie entstanden ist, sondern die da ist und erfüllt werden muß.

(Zuruf bei den Deutschnationalen: Wie denn? - Gegenrufe bei den Kommunisten: Indem Sie zahlen! - Erneute Zurufe.

Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident Dr. Rießer: Ich wiederhole die Bitte, daß sich die Herren von rechts und links auf ihre Plätze begeben möchten.

Dr. Rathenau, Minister für Wiederaufbau: Es handelt sich nicht um eine reine Frage der Wirtschaft, sondern um eine schlechthin zu erfüllende Aufgabe. Deshalb sind alle, vom Arbeiter bis zum Handwerker und Industriellen zu diesem Werk aufgerufen; nicht für den Mann erbitte ich Ihre Hilfe, sondern für das Werk. Das Werk muß sein.

(Lebhafter Beifall.)

Vizepräsident Dr. Rießer: Das Wort hat der Herr Reichskanzler.

Dr. Wirth,Reichskanzler: Meine Damen und Herren! Ich benutze die Gelegenheit, um eine Äußerung zurückzuweisen, die vorhin der Herr Abgeordnete v. Braun getan hat, als er die Bestrebungen des jüdischen Kapitals berührte. Er hat gesagt: Wir wollen nichts zu tun haben mit derartigen Machenschaften des jüdischen Kapitals." - Das stenographische Protokoll verzeichnete danach: lebhafte Zustimmung rechts. - "Deswegen sehen wir gerade in der jetzigen Zusammensetzung des Kabinetts eine schwere Gefährdung."6

(Lebhafte Rufe bei den Deutschnationalen: Sehr wahr!)

- Meine Herren! Dieses "Sehr wahr!" hätten Sie sich sparen können.

(Sehr richtig! links.)

Es war ein billiges Vergnügen, mir einen Mangel an Gedanken vorzuwerfen, ein noch billigeres Vergnügen, mit vulgärem Antisemitismus hier Männer attackieren zu wollen, die die reine Pflichterfüllung dahin geführt hat, wo sie heute sitzen.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


6 S. 3744C

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