1. Reichstag, Weimarer Republik


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Es ist also nichts Neues, wenn jetzt die Reichsbehörden Schwarz-Rot-Gold flaggen. Das geschah auch damals und zwar mit Zustimmung des preußischen Königs; denn dieser ließ eine schwarz-rot-goldene Fahne vor sich hertragen als er am 21. März durch Berlin ritt in der Uniform des 1. Garderegiments, um den Arm eine breite schwarz-rot-goldene Binde!

(Hört! Hört! bei den Sozialdemokraten.)

Auch sein Gefolge, die Generalität und die übrigen trugen Uniformen mit schwarz-rot-goldenen Binden. In der Proklamation des Königs von Preußen am 21. März 1848 hieß es - und diese Worte sollte man jetzt, wo die sogenannten Deutschnationalen es wagen, diese Fahne in den Schmutz zu ziehen, wirklich in Erz eingraben -: Ich habe heute die alten deutschen Farben angenommen

(Hört! Hört! bei den Sozialdemokraten)

und mich und mein Volk unter das ehrwürdige Banner des Deutschen Reichs gestellt.

(Abgeordneter Dr. Schücking: Hört! Hört!)

Preußen geht fortan im Reich auf.

(Hört! Hört! bei den Sozialdemokraten.)

So hieß es in der Proklamation des Preußenkönigs an sein Volk! Heute aber spricht man von der Erfindung einiger Phantasten; oder diese Farbenverbindung hätten die Sozialisten und Juden zusammengebraut! Man sollte wirklich nicht glauben, daß solche Behauptungen in einem Volk, daß doch Anspruch darauf erhebt, zu den Gebildetsten des Erdteils zu gehören, möglich sind.

(Zustimmung links.)

Es ist beschämend, daß ein deutscher Geschichtsunterricht an den Schulen des alten Obrigkeitsstaates gegeben worden ist, der all diese großen Vorgänge verschwiegen hat und an Stelle dessen fürstendienerische Legenden und Lügen gesetzt hat.

(Bravo! Links.)

Aber nun ist es doch endlich Zeit, daß dieser Nebel zerrissen wird und das der schwarz-rot-goldenen Flagge das Recht zugesprochen wird, das ihr zukommt. Es ist ein älteres Recht als das der schwarz-weiß-roten. Flagge.

(Zurufe rechts.)

Über die rote Flagge spreche ich auch gleich noch!

(Erneute Zurufe rechts.)

Leider ist ja die schwarz-rot-goldene Flagge9 damals wieder heruntergeholt worden, obgleich sie der Preußenkönig zu hissen befohlen hatte.- Wir kennen ja diese Geschichte. Es ist schade, daß sie nicht auch jedem deutschen Kinde bekannt ist; sie wäre wirklich eine gute geschichtliche Aufklärung. Der deutsche Freiheitskampf wurde damals erstickt. Man hat die Fahne mit den Bajonetten der Reaktion zerfetzt. So ist die ganze deutsche Einheits- und Freiheitsbewegung damals zerschellt. Ich glaube nicht, ehi das dem deutschen Volke zum Nutzen gereicht hat. Ich glaube, es wäre besser gewesen, das deutsche Volk hätte sich damals seine Einheit schaffen können und hätte durch ein modernes Verfassungsleben den Anschluß an die westlichen Völker gefunden.

(Sehr wahr! Links.)


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Statt dessen wurde der mit so ungeheurer Begeisterung unternommene Versuch, der ja doch gewiß das Beste und höchste im Auge hatte, was das deutsche Volk erstreben konnte, in jener Weise niedergeknüppelt. Bismarck half damals dabei mit, die schwarz-rot-goldene Fahne wieder herunterzuholen. Er hat dann später die sogenannte kleindeutsche Lösung zum Ziel seiner Politik gemacht, die Lösung, die von den dynamischen Interessen ausging. Er hatte bei dieser ganzen Frage in erster Linie die Hausmachtpolitik der Hohenzollern im Auge, und er hat dann diese kleindeutsche Lösung durch blutige Kriege innerhalb Deutschlands selbst und durch Vernichtung einiger Stammstaaten zum Siege geführt,

(Zuruf rechts: Vernichtet?)

- Sie wurden als Staaten vernichtet! - und er hat dabei die deutschen Stämme Österreichs aus dem deutschen Reiche hinausgedrängt. Meine Herren, das war keine Lösung,. Die dem Ideal der großen deutschnationalen Vorkämpfer entsprach, die kleindeutsche, preußische Lösung. Sie war verhängnisvoll für die Deutschen in Österreich, verhängnisvoll für die ganze Entwicklung in Österreich. Das wird heute niemand mehr bestreiten. Sie ist dann auch verhängnisvoll geworden für den weiteren Verlauf der Geschichte. Das Wahrzeichen der kleindeutschen Einigung unter Ausschluß Österreichs war die schwarz-weiß-rote Fahne. Aber niemals war sie das Zeichen der großdeutschen nationalen Einheit. Das Zeichen dieser Einheit, die schwarz-rot-goldene Fahne, ist in Österreich weitergeführt worden.

(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)

Wie stand es nun in Weimar? 10 In Weimar hatten wir die Frage über die Farben der deutschen Republik zu entscheiden, und da stießen die Gegensätze natürlich aufs schärfste aufeinander. Die einzige Möglichkeit, überhaupt ein Einheitsbanner zu schaffen, war die schwarz-rot-goldene Lösung. Es gab keine andere, auf die die Hoffnung gesetzt werden konnte, daß sie eine Einigung des deutschen Volkes erziele. Einmal mußte der großdeutsche nationale Gedanke aufs neue sein Zeichen haben.

(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)

Damals - denken Sie an Weimar - waren Vertreter unserer österreichischen Brüder in Weimar selbst. Sie wollten anfangs ja Sitz und Stimme in der deutschen Nationalversammlung haben. So eng fühlte man sich verbunden, und wir glaubten und hofften auch, daß die Nationalversammlung nicht zu Ende gehen werde, bevor wir sie in den Rahmen der deutschen Einheit wieder aufgenommen hätten. Das war der eine gegebene Sinn des Schwarz-Rot-Gold: jawohl, alle Deutschen von der Etsch bis an den Belt sollen es sein! Warum konnte nun die Sozialdemokratie nicht das schwarz-weiß-rote Banner annehmen,11 warum kann sie es heute nicht? Wir haben im alten Obrigkeitsstaat eine Ausnahmestellung eingenommen. Die schwarz-weiß-rote Fahne war die Fahne eines Systems, das keinem ehrlichen demokratischen Mann in einem öffentlichen Amte duldete.

(Sehr wahr! Bei den Sozialdemokraten.)

Es war die Fahne eines Systems, das die Sozialdemokraten unter Ausnahmerecht stellte, das die


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