1. Reichstag, Weimarer Republik


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Reichstag. -17. Sitzung. Dienstag den 3. August 1920.

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gewesen ist, alle Veranlassung haben, unsere Grenzen nicht unbesehen jedem zu öffnen,

(Zustimmung bei den Regierungsparteien und den Deutschnationalen.)

sondern nur solche Einwanderer aufzunehmen, denen eine Existenz in Deutschland gesichert ist. Diesen Standpunkt hat die preußische Regierung, die ja für diese Frage zuständig ist, auch von vornherein eingenommen, und sie hat die Grenzen zurzeit im allgemeinen für mittellose, existenzlose Personen geschlossen gehalten. Es liegt also so, daß an sich niemand die deutsche Grenze überschreiten darf, der nicht im Besitz eines Passes ist. Wenn diese Frage also überhaupt zu Erörterungen führt, so liegt das daran, daß es immer wieder vielen Personen gelingt, ohne Pässe im Wege der Bestechung oder mit gefälschten Pässen über die Grenze zu gelangen. Das wird besser werden, wenn die komplizierten Souveränitätsrechte, die sich im Osten, in Oberschlesien, in Masuren und an anderen Stellen aus den Bestimmungen des Friedensvertrages über die Abstimmungen ergeben haben, sich vereinfacht haben werden und eine gute Grenzpolizei wieder durchgeführt werden kann. Es ist zu bedenken, daß bei den beschränkten Nahrungsmitteln und bei dem beschränkten Wohnraum, die wir zurzeit in Deutschland haben, jeder Einwanderer im Osten die Auswanderung eines gelernten Arbeiters im Westen bedeutet und daß infolgedessen die Zusammensetzung unserer Bevölkerung sich verschlechtert, wenn nicht dafür gesorgt wird, daß die mangelnde Arbeitsgelegenheit und die geringe Gelegenheit zur Ernährung und zur Wohnung, die in Deutschland vorhanden ist, denen zugute kommt, die wir bereits heute in Deutschland haben und die für uns als Bestandteile unserer deutschen Bevölkerung wichtig sind. Gerade die Auswanderung unserer gelernten Arbeiter im Westen hat einen erschreckenden Umfang angenommen. Man kann deshalb nicht jeden, der unerlaubt über die Grenze gekommen ist, innerhalb der deutschen Grenze behalten, und die Bestrebungen, die die deutsche Regierung heute verfolgt und dahin gehen, solchen Personen, wenn sie keinen ordnungsgemäßen Beruf in Deutschland finden, zu internieren oder über die Grenze zurückzuschieben, können keineswegs verurteilt werden.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete D. Mumm.

D. Mumm, Abgeordneter:5 Meine Damen und Herren! Herr Dr. Rosenfeld hat mit seiner Ostjudenrede wirklich Pech, doppeltes Pech. Einmal, daß ein demokratischer Minister hier aufsteht und sich durchaus zu dieser von den Rechten, von uns Deutschnationalen, ausgegangenen Entschließung bekennt und zum anderen, noch mehr aber dadurch, daß er mit seiner Rede ausgerechnet 24 Stunden zu spät kommt. Denn die Entschließung zur Ostjudenfrage wurde gestern angenommen, ohne daß einer der 80 Männer und Frauen der unabhängigen Sozialdemokratie dagegen irgendeinen Widerspruch erhoben hat, so daß also die Rede, die jetzt


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gehalten wird, nach erledigter Abstimmung kommt. Sie haben Ihrerseits (zu den Unabhängigen Sozialde-mokraten) da, wo es Zeit war, nicht widersprochen. Aber es ist ganz nützlich, daß nun Herr Dr. Rosenfeld die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit auf dasjenige gelenkt hat, was der Deutsche Reichstag beschlossen hat und ich kann nur den Herrn Reichsminister bitten, daß er auch dem Willen des deutschen Volkes, wie ihn der Reichstag in seiner Resolution zum Ausdruck bringt, mit Entschiedenheit Folge gebe und daß er der Masseneinwanderung fremdstämmiger Elemente, insbesondere über die Ostgrenze, wehre, wirksam wehre und, ich füge hinzu: unmittelbar wehre.

(Bravo! bei den Deutschnationalen.)

Es ist ausdrücklich in unserer Resolution von fremdstämmigen Elementen die Rede. Es kann also nicht etwa die Rede

davon sein, daß solche, die deutschen Blutes sind, Deutschbalten - unter denen übrigens eine sehr große Zahl bürgerlicher Elemente, Elemente aus allen Bevölkerungsschichten sich befinden -, irgendeine Wehr durch diesen Beschluß erfahren. Das furchtbar Schwere, daß diese Männer deutschen Stammes in den letzten Jahren durchgemacht haben, bewegt uns alle, die wir sie kennen, und es wird keiner irgendwie wünschen, daß diesen, wenn ihnen Stammesgemeinschaft eine gastliche Stätte gewährt, irgendein Hindernis in die Wege gelegt wird.

(Bravo! Bei den Deutschnationalen.)

Nein, es handelt sich an dieser Stelle in unserem Beschluß ausschließlich um die fremdstämmigen Elemente.

(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)

Hier tat nun Herr Dr. Rosenfeld so, als seien die Eingewanderten nur eine ganz kleine Schicht. Der braunschweigische Landesrabbiner hat in seiner Polemik gegen mich noch vor kurzem die Zahl der in Berlin weilenden Ostjuden allein auf 35- bis 40.000 angegeben.

(Lebhafte Rufe bei den Deutschnationalen: Hört! Hört!)

Ich glaube, daß diese Ziffer entschieden zu gering gefaßt ist. Unser Kollege Jaud hat im Jahre 1919 hier im Reichstag eine Ziffer angegeben, wonach man annimmt, daß es sich bereits damals um 60 000 Eingewanderte handelte. (Hört! Hört! bei den Deutschnationalen.) Das ist das Schwere, daß auch die von uns durchaus gewünschte amtliche Denkschrift nicht eine volle Klarheit geben wird; denn - der Herr Minister hat es bereits ausgeführt - es ist ganz klar, eine große Zahl dieser Elemente sind ohne Pässe oder mit gefälschten Pässen über die Grenze hinübergegangen, und niemand ist in der Lage, anzugeben, wie groß diese Zahl ist. Nur müssen wir feststellen, daß z.B. nach dem Urteil des Reichskommissars Scheidt, wohl auch des Wohnungsamtes für Berlin, durch solche Zuwanderung ausländischer Elemente die Wohnungsnot in Berlin entscheidend verschärft worden ist.

(Hört! Hört! bei den Deutschnationalen.)

Wir würden eine solche Wohnungsnot hier in der Reichshauptstadt nicht haben, wenn nicht solche ungebetenen Elemente zu uns gekommen wären.


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