1. Reichstag, Weimarer Republik


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Reichstag. - 17. Sitzung. Dienstag den 3. August 1920.

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(sehr wahr! rechts)

und vor allem fehlte die Nachhaltigkeit -, daß man durch solches Vorgehen hoffen kann, auch ein wenig abschreckend zu wirken. Ich denke nicht daran, irgendwelche Unmenschlichkeiten zu befürworten, aber es gibt doch auch eine Stammesängstlichkeit,

( sehr gut! bei den Deutschnationalen)

die überall drüben Pogrome sieht, und die, wenn man sich danach allein richten würde, jedes Eingreifen der Behörden unmöglich machen würde. Meine Damen und Herren! Das Übel ist so schlimm geworden, und wahrlich, schon während des Krieges sind wir nicht stumm gewesen, wir haben wieder und wieder auf diese Dinge hingewiesen. Ich erinnere Sie weiter an die Klage unseres Fraktionsführers, des Herrn Dr. Grafen v. Posadowsky, der am 7. Dezember 1919 sagte: "Die Grenzkontrolle scheint aufgehört zu haben; auf der einen Seite flüchtet das Kapital ins Ausland, aber auf der anderen Seite strömen aus Russisch-Polen und aus Galizien Massen von Ausländern herein, die zum Teil auf sehr niedriger Kulturstufe stehen und vielfach verbrecherische Elemente in sich bergen. Selbst angesehene Glaubensgenossen dieser heimlichen und massenhaften Einwanderung hegen deshalb die ernsthaftesten Besorgnisse. Die Regierung darf diesen zum großen Teil heimlich eingewanderten Personen unter keinen Umständen das deutsche Bürgerrecht verleihen." In gleicher Weise habe ich auch meinerseits noch ausgangs des letzten Jahres von dieser Seite aus Stellung genommen. Meine Damen und Herren! Nun ist es endlich so weit, nun ist es endlich erreicht, und Sie können es nicht mehr ungeschehen machen, daß der Deutsche Reichstag beschlossen hat, ohne daß von irgendeiner Seite ein Widerspruch zur richtigen Minute erhoben worden ist. Ich verstehe sehr wohl, wenn jetzt nachträglich noch ein solcher Widerspruch erhoben wird, wenn man nachträglich noch sagt, man möchte sich einsetzen für diese Persönlichkeiten. Man weiß doch, zu welchen dunklen politischen Zwecken.

(Sehr richtig! rechts. - Lachen und Zurufe bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

- Jetzt schreien Sie auf, jetzt fühlen Sie sich getroffen.

(Gelächter bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Meine Damen und Herren! Ich habe schon im Vorjahre gesagt, man weiß nicht, zu welchen Zwecken diese dunklen Gestalten plötzlich auftauchen können. In den erregten Tagen haben wir ja doch die Straßenredner angesehen. Konnte man es nicht vielfach an der körperlichen Beredsamkeit, die sie entfalteten, erkennen, woher sie stammten?

(Sehr gut! rechts.)

Meine Damen und Herren! Gerade auch um deswillen muß man sagen, es liegt hier ein erhebliches politisches Interesse vor

(Sehr richtig! rechts)

für all diejenigen, die Ruhe und Ordnung haben wollen, daß man hiergegen vorgeht. Ich will nun noch, wie versprochen, auf den Zwischenruf eingehen, ob etwas derartiges, wie ich es hier vorgeführt habe, christlich sei. Darauf habe ich Ihnen eine dreifache Antwort zu geben.

vorige

Zunächst einmal, meine Herren, sprechen Sie (nach links) von den Dingen, in denen Sie Sachverständige sind!

(Sehr gut! und Bravo! rechts. - Lachen und Zurufe links.)

Sie mögen Ihrerseits urteilen über das, was echt jüdisch ist. Ich erkenne da manchen von Ihnen als Sachverständigen an. Ich habe aber auch draußen im Volksleben in Ihrer Partei Gestalten gefunden, denen ich eher ein Verständnis zutraue für das, was echt teuflisch ist, als wie für dasjenige, was echt christlich ist

(Sehr gut! rechts. - Lachen bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Meine Damen und Herren! Bleiben Sie Ihrerseits in der Sphäre, in der Sie orientiert und sachverständig sind.

(Zurufe bei den Unabhängigen Sozialdemokraten: Kein Mensch kann daraus klug werden!)

- Wenn Sie es jetzt noch nicht verstanden haben, wird Ihnen einer Ihrer Kollegen es näher erklären.

(Sehr richtig! rechts.)

Zum zweiten, meine Damen und Herren, wenn es sich darum handelt, allgemeine Menschenliebe zu üben, nun so will ich denn, durch diesen Zwischenruf veranlaßt, einmal etwas sagen, was mich persönlich betrifft, und was ich bisher noch niemals in der Öffentlichkeit gesagt habe. Ich habe während des Krieges, als im Osten meines Erachtens solche Ostjuden zu unrecht behandelt wurden, mich persönlich für dieselben eingesetzt und mancherlei auch infolgedessen ruhig ertragen. Ich habe in dieser Beziehung, was die Pflicht der allgemeinen Menschenliebe betrifft, auch diesen Elementen gegenüber ein gutes Gewissen. Aber noch ein letztes. Wenn man mich fragt, was echt christlich ist, dann sage ich Ihnen: für mein öffentliches Wirken scheint es mir die erste und größte christlich-sittliche Verpflichtung zu sein, einzutreten für mein armes zertretenes Volk.

(Lebhafter Beifall rechts. - Zurufe links.)

Vizepräsident Dr. Bell: Als nächster Redner hat das Wort der Herr Abgeordnete Korell.

Korell, Abgeordneter:6 Meine Herren, der Herr Abgeordnete Dr. Rosenfeld bemerkte, daß sich die Demokraten mit ihrer Zustimmung zu dieser Resolution in Gegensatz zu ihrer früheren besseren Haltung stellten. In der Kommission hat Herr Dr. Rosenfeld uns wegen dieser Zustimmung sehr heftig angeblasen. Was er heute sagte, war dagegen nur ein sanftes Säuseln --

(Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident Dr. Bell: Herr Abgeordneter Korell, ich bitte, den Ausdruck "anblasen" zu unterlassen.

(Große Heiterkeit.)

Korell, Abgeordneter: Das ist doch sehr milde ausgedrückt!

Vizepräsident Dr. Bell: Milde mag der Ausdruck Ihnen erscheinen; aber im Reichstage wird überhaupt nicht "geblasen"!

Korell, Abgeordneter: Wenn uns heute der Herr Abgeordnete Rosenfeld nur leise angesäuselt hat, so bin ich freilich nicht sicher, ob nicht einer seiner


6 S. 633B

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