1. Reichstag, Weimarer Republik


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zu ruhigerer Betrachtung übergehen, und auch vom Ausland, von England kam ja ein gewisses Beruhigungspulver über das Meer herüber.

(Zuruf von den Deutschnationalen: Bestellte Arbeit!)

Das Unannehmbare das zunächst aus der Presse überall heraustönte, wurde nunmehr gedämpft durch eine gewisse Verhandlungsbereitschaft. Meine Damen und Herren! Wer denkt da nicht an die Verhandlungsbereitschaften der Vergangenheit! Wer erinnert sich nicht an Versailles, an das Londoner Abkommen, an das Ultimatum, an Oberschlesien, wo stets erst unannehmbar, unerträglich, unmöglich usw. in alle Welt hinausgerufen wurde, und wo man dann zu Verhandlungen kam und endlich zur Kapitulation.

(Lebhafte Zustimmung bei den Deutschnationalen.)

Wir haben es inzwischen schwer bereut, ja ich möchte sagen, wir schämen uns dessen, was damals passiert ist, was uns in das tiefe Elend der heutigen Zeit geführt hat.

(Zurufe von der äußersten Linken.)

Wir schämen uns, weil inzwischen - nicht etwa die Bevölkerung aus sich heraus umgelernt hat; das kann man nun einmal leider von unserer Bevölkerung heute noch nicht erwarten -, sondern weil wir einen Blick hinter die Kulissen unserer Gegner haben tun können. Zunächst hörten wir es aus den Schriften von Keynes, aus den Veröffentlichung von Tardieu, jetzt hören wir es aus dem Buche von Ritti, das nur jedem im Hause zu lesen empfohlen werden könnte,

(sehr richtig bei den Deutschnationalen)

und aus der Denkschrift von Lloyd George, vom März 1919, wie brüchig schon damals die Front unserer Gegner gewesen ist, wie uneins sie waren, und wie unsicher sie sich mit ihren Forderungen gegenüber Deutschland gefühlt haben.

(Sehr richtig! Bei den deutschnationalen.)

Nur wir, der dumme deutsche Michel, wir nutzen diese Situation nicht aus, wir troffen von Angst und Beflissenheit,

(sehr richtig! Bei den Deutschnationalen)

und statt von unserem Recht Gebrauch zu machen, statt den Grundsatz in alle Welt hinaus zu rufen: ultra posse nemo obligatur haben wir unseren Gegnern selbst die Waffen geliefert: Volenti non fit iniuria! Demjenigen der da will, geschieht kein Unrecht. Wir sollten aus der Entwicklung der Vergangenheit gelernt haben,7 und wir sollten deshalb gegenüber der Generaloffensive, die man jetzt gegen uns eingeleitet hat, mit einer Abwehroffensive des deutschen Volkes antworten.

(Lebhafte Zustimmung bei den Deutschnationalen.)

Ich frage nun: hat unsere Regierung die Situation richtig erkannt, und hat sie ihrerseits die richtige Stellung zu diesem Endkampfe genommen? Meine Damen und Herren!8 Der Herr Reichskanzler hat hier - und ich möchte sagen, zum ersten Male, seit dem ich den Herrn Reichskanzler reden höre - starke, kräftige Worte gebraucht.


7S. 6623C
8S. 6623D

vorige

Beim Anhören aller Sätze, die der Herr Reichskanzler vorher verlesen hat, habe ich indessen nur das eine Gefühl gehabt: warum ist man erst heute mit diesem Material vor die Öffentlichkeit getreten?9S. 6537D

(Lebhafte Zustimmung bei den Deutschnationalen.)

Wissen wir denn von dieser Forderung der Finanzkontrolle schon seit vielen Monaten? Hat es nicht immer von Paris herübergeklungen, man müsse nun Deutschland eine solche Finanzkontrolle auferlegen. Saßen nicht eben erst die Sachverständigen der Entente, die Finanzminister in Paris zusammen? Wäre da nicht die Gelegenheit gewesen, daß man ihnen rechtzeitig vor der Note der Reparationskommission dieses durchschlagende Material von führender Stelle des Deutschen Reichs entgegenhielt? Unsere Stellung liegt klar zutage. Wir wollen, daß gegenüber dieser Gesamtaktion, der großen Offensive Frankreichs eine großzügige Abwehraktion, eine großzügige deutsche Gegenoffensive veranstaltet wird.

(Lebhafte Rufe auf der Linken: Wie?)

- Nicht mit den Waffen! Das wissen Sie selber! Sie verkennen aber immer die Stärke unseres 60-Millionen-Volkes, wenn es endlich nur einmal einig wäre, und Sie (nach links) sorgen dafür, daß es nicht einig wird.10

(Lebhafte Zustimmung bei den Deutschnationalen. - Unruhe und Zurufe auf der Linken.)

Wir wollen, daß mit der Erfüllungspolitik, die zu dieser katastrophalen Situation geführt hat, endlich gebrochen wird, daß man von Beflissenheit nicht mehr redet, wir wollen, daß bei den Verhandlungen mit dem Auslande - mögen sie sich nun in Genua vollziehen oder anderswo - ein völlig andere Basis eingenommen wird als bisher und daß die Basis nur die sein kann: Revision des Versailler Friedens, endgültiger Erlaß in Verbindung mit einer Anleihe. Wir wollen, daß die Endlösung immer der Regierung als Ziel vorschwebt, die Endlösung, bei der es dann noch Opfer für das deutsche Volk genug geben wird, und wo auch wir zu diesen Opfern bereit sind.

(Sehr richtig! Bei den Deutschnationalen.)

Meine Damen und Herren!11 ! Das Volk schreit nach einer Tat. Ich will dieses Wort, das hier immer so heftig angefochten wird, auch heute wieder gebrauchen. Der Herr Reichskanzler hat ein anderes Wort vorhin gebraucht: wir stehen vor einer riesenhaften Teuerungswelle, und das Volk ist dieser Teuerungswelle gegenüber der Verzweiflung Meine Damen und Herren!12S. 6537D
Die Riesenwelle der Teuerung ist unaufhaltsam. Sie wird sich überschlagen, sie wird brechen, sie wird aber auch eventuell über uns zusammenbrechen,

(Sehr richtig! Bei den Deutschnationalen; Unruhe und Zurufe links.)


9S. 6623D
10S. 6631B
11S. 6631C/D
12S. ebd.

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