1. Reichstag, Weimarer Republik


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Geschlechtskrankheiten. In der Münchener Blindenanstalt mag man sehen, wo 75,5 Prozent der Opfer blind sind infolge Geschlechtskrankheit ihrer Erzeuger. Ja, wer will sagen, ob nicht in der Entscheidungsschlacht an der Marne uns nicht genau so viel Kämpfer gefehlt haben, wie damals in den Lustseuchenlazaretten lagen?

(Zurufe auf der äußersten Linken.)

Herr Kollege, wenn Sie sich etwas mit den Dingen, über die Sie reden, beschäftigt hätten, würden Sie wissen, wie hart und scharf ich damals dagegen gekämpft habe. Der General in unseren Reihen, Herr Abgeordneter v. Gallwitz, hat in seiner Armee diesen Unfug nicht zugelassen. (Erneute Zurufe auf der äußersten Linken.) Ich sage, wir sind heute so weit, daß jedes 25. neugeborene Kind syphilitisch belastet ist. Wir wissen, daß die Kunst durch die Offenbarung des Genius berufen ist, das Leben in allen seinen Höhen und Tiefen darzustellen und der Menschheit einen Spiegel vorzuhalten. Wir begrüßen die Freiheit der Kunst, die aber nicht Zügellosigkeit bedeutet, sondern an die Grundsätze der Volkserziehung und Ethik, der Religion und des Volkswohls gebunden ist. Wir pflichten dem Wort des Altmeisters Hans Thoma bei: Als Volkserziehung muß die Kunst sittlich sein, und wenn sie es nicht ist, verliert sie das Recht zu bestehen." Es handelt sich bei uns wahrlich nicht um einen streit gegen die Kunst. Was an echten Werten dort vorhanden ist, das soll auch von uns gepflegt werden. In der Kunst schaut ein Volk sich selbst in seinem wahren Wesen. Wir wünschen sonderlich in der gegenwärtigen schweren Zeit, daß sie eine Quelle der Freude führ die weitesten Kreise und eine Erzieherin unseres deutschen Volkes werde. Aber hier handelt es sich nicht um Kunst, sondern ums Geschäft, um das allergemeinste Geschäft,8

(sehr richtig! rechts)

das man sich nur denken kann. Darum gilt es, die armen prostituierten Mädchen und Männer frei zu machen von der Faust des Unzuchtkapitals, von der Macht des Amüsierpöbels, der unsere Bühnen beherrscht. Sie, meine Herren von der Linken, haben mir soviel Zwischenrufe gemacht. Haben Sie nicht das Empfinden, daß Sie gerade auch hier eine Pflicht haben, wirksam mit einzutreten, gegen solchen gemeinsten Mammonismus?

(Zurufe links.)

- Die "neuen Reichen", vielfach aus undeutschem Blut, können am besten zahlen. Sie verlangen aber die pikanten, gepfefferten Schamlosigkeiten. Die einen verlangen sie offen, die anderen verlangen sie, sorgfältig abgewogen, also umso gefährlicher. Unser Kampf gilt nicht der Kunst, sondern dem Mammonismus, der mitunter selbst Künstler in seine Fesseln schlägt. Unser Kampf gilt der Geilheit, der Vereinigung von Krampf und Zote. Nun gibt es ja zwei Wege der Abhilfe. Die einen stellen die Förderung der guten Literatur und Kunst in


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den Vordergrund. Vollkommen unsere Meinung!9 Auch wir wünschen sie mit aller Kraft gefördert zu sehen. Aber so gut, wie man beim Lichtspielgesetz in der übergroßen Mehrheit des Hauses zuletzt zu der Überzeugung gekommen ist, daß es mit der Förderung des Guten allein nicht getan sei, sondern daß auch die Wehr gegenüber diesen mammonistischen Erscheinungen notwendig sei,

(sehr richtig! rechts)

so gut müssen wir auch entsprechende Strafbestimmungen auf diesem Gebiet haben. Selbst in der Frankfurter Zeitung vom 27. Februar 1921

(Zuruf links: Das ist eine jüdische Zeitung!)

sind derartige Stimmen zum Ausdruck gekommen. - Es wird mir dazwischen gerufen: "das ist eine jüdische". Wenn ein Jude etwas Gutes tut, dann bin ich gern bereit, es anzuerkennen.

(Zuruf von den Kommunisten: Darauf nagle ich Sie fest!)

Es ist leider nur nichts allgemeines. Ich nenne noch eine zweite jüdische Zeitung, um Ihnen einen Gefallen zu tun. -

(Zuruf von den Kommunisten: das ist ja die "Germania".)

- Ich zitiere das "Berliner Tageblatt" aus der "Germania". Im "Berliner Tageblatt" Nr. 552 ist ein Brief von Herrn Dr. Ernst Barth veröffentlicht worden, einer von Elly Frank, einer von Karl Koen, der nach der gleichen Richtung hin geht. Es ist weiter ein ausgesprochenes jüdisches Blatt - Herr Max Naumann gibt es heraus -, das ausdrücklich zum Reigenprozeß erklärt Wesentlich ist, daß die Dichter sich sagen müssen: der Schaupöbel sucht in der öffentlichen Aufführung des Werks nicht den Ernst des Lebens, sondern die Schweinerei, und daß er trotzdem mit lässiger Gebärde die Aufführung zugelassen hat. Ich habe hier den "Vorwärts", der in der Nr. 278 eine Frauenstimme zum Ausdruck bringe. Dort heißt es: Es wäre doch zu wünschen, daß man mit der Aufführung von Werken in der Art des "Reigen" äußerst vorsichtig umginge. Diesen schonungslosen Wirklichkeitsschilderungen fehlt unbeschadet ihrer künstlerischen Qualität das menschlich Wesentliche, das tief innerliche Mitleid des Künstlers mit seinen Geschöpfen, das die großen Naturalisten auszeichnet. Und es wird hingewiesen auf Erich Schmidt, der Schnitzler auf seine Frage nach seinem Urteil über den "Reigen" erwiderte: Solche Dinge schreibt man wohl, aber man lässt sie nicht drucken. Wir kommen nicht weiter, ehe wir nicht eine andere öffentliche Meinung haben, die die Würde der Frau und die Reinheit des Kindes zum Leitstern machen, ehe wieder Geltung hat, was heute auf dem Theater nicht dargestellt werden darf: echte Liebe und Kraft der Reinheit.



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