1. Reichstag, Weimarer Republik


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Reichstag. - 234. Sitzung. Sonnabend den 24. Juni 1922

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234. Sitzung. [i]


Sonnabend den 24. Juni 1922


Trauerkundgebung für den Reichsminister des Auswärtigen Dr. Rathenau:1

Um 12 Uhr 28 Minuten teilt Präsident Löbe mit: Meine Herren! Ich kann im Moment eine Sitzung noch nicht eröffnen, da der Ältestenrat noch zusammen ist. Gestatten Sie mir aber die dringende Bitte, daß Tätlichkeiten in diesem Hause unterbleiben.

(Zurufe von den Kommunisten und von den Unabhängigen Sozialdemokraten: heraus mit den Mördern! - Große Unruhe.)

- Selbst unter dem furchtbaren Eindruck der Tatsache möchte ich darum bitten, meine Herren, daß Sie das nicht tun. Ich möchte alle Parteien bitten, den Sitzungssaal zu verlassen, bis die Sitzung angesetzt ist.

(Lebhafte Rufe bei den Kommunisten und bei den Unabhängigen Sozialdemokraten: Ins Zuchthaus! Sonst fliegen die Burschen heute raus! Es sind die intellektuellen Mörder!)

_____________

Die Sitzung wird um 3 Uhr 17 Minuten durch den Präsidenten Löbe eröffnet.

Präsident: Meine Herren!

(Stürmische Rufe von der Linken gegen den Abgeordneten Dr. Helfferich: Raus!)

Meine Herren! Nach der Verfassung steht jedem Abgeordneten das Recht zu - -

(Erregte Rufe von der Linken: Aber Mördern nicht! Abgeordneter Höllein: Mit Mördern setzen wir uns nicht hierher!)

Der Präsident ist verpflichtet, jedem, Ihnen (zu den Mitgliedern der Linken) wie jedem anderen das verfassungsmäßige Recht zu wahren. Bitte, begeben Sie sich auf Ihre Plätze!

(Abgeordneter Höllein: Mit Mördern setzen wir uns heute nicht zusammen! Abgeordneter Heydmann: Handschellen für die Mörder!)

Darf ich die Herren bitten, sich auf ihre Plätze zu begeben.

(Der Reichskanzler Dr. Wirth begibt sich von seinem Platz in den Saal und versucht, beruhigend auf die Abgeordneten einzuwirken. - Abgeordneter Koenen: Herr Wirth, Sie sind der nächste!)

- Herr Abgeordneter Koenen, Sie werden doch zugeben, daß ich versucht habe, in unparteiischer weise die Verhandlungen zu leiten.


1Bd. 355, S.8033A

(Abgeordneter Koenen: Handschellen für die Mörder!)

- Meine Herren! (zu den Kommunisten) Ich kann die ganze Sitzung nicht abhalten, wenn Sie sich nicht auf Ihre Plätze begeben.

(Abgeordnete der Sozialdemokratischen Fraktion versuchen, die Abgeordneten der äußersten Linken zu veranlassen, sich von der rechten Seite des Hauses auf ihre Plätze zu begeben. Der Abgeordnete Fröhlich fordert seine Parteifreunde auf, auf der rechten Seite stehen zu bleiben: Wir machen keine Komödie! - Abgeordneter Höllein: Eine Heuchelei! - Andauernde Erregung. - Glocke.)

- Herr Abgeordneter Höllein, in diesem Augenblick sind wir zusammengekommen, um einen Toten zu ehren. -

(Wiederholte lärmende Zurufe von den Kommunisten. - Abgeordneter Remmele: Fühlen Sie, Herr Präsident, nicht die Gemeinheit, daß die Halunken (nach rechts) hier sind, wenn wir einen Toten ehren wollen!)

- Darf ich Sie (zu den Kommunisten) bitten, in diesem Augenblick dem Toten zu liebe die Ordnung zu wahren.

(Abgeordneter Remmele: Fühlen Sie das nicht, Herr Präsident? - Andauernde Zurufe von den Kommunisten.)

- Herr Abgeordneter Remmele, Sie verhindern ja, daß irgendjemand von der Regierung oder sonst jemand etwa sagt! Nehmen Sie doch Ihre Plätze ein!

(Große Unruhe und Zurufe auf der äußersten Linken.)

- Ich verstehe Ihre Erregung. Sie wissen: ich bin auch erregt. Aber wir müssen doch in Ordnung unsere Pflichten erfüllen.

(Erregte Zurufe auf der äußersten Linken: Das heißt den Kampf aufgeben, Herr Stampfer, wenn Sie jetzt nachgeben! Elendes, feiges Mordgesindel! Heuchlerbande! Lumpen! - Andauernde große Unruhe.)

- Meine Herren, wenn ich jetzt meine Mahnung nicht befolgt sehe, dann muß ich den Versuch einer Ehrung ganz aufgeben!

(Hört! Hört! bei den Sozialdemokraten.)

Ich richte die letzte Bitte an Sie! Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen.

(Große Unruhe und stürmische Zurufe auf der äußersten Linken: Es handelt sich um eine Trauerfeier! Das ist eine Verhöhnung und keine Trauerfeier! Ich frage, ob wir eine Trauerfeier mit Mördern machen wollen, ob wir eine Trauerfeier als Komödie machen wollen vor der ganzen Welt! So etwas ist unmöglich! Eine Heuchelei! - Beruhigende Zurufe von den Sozialdemokraten. - Gegenrufe auf der äußersten Linken: Ihr seid erbärmliche Wichte!)

Deutsche Reichstagsabgeordnete! Was diese Szene hier hervorruft, ist eine Tat

(erneute Zurufe auf der äußersten Linken: Jetzt stehen die [rechts] auf!)


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