1. Reichstag, Weimarer Republik


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Seite 275

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unserer Presse ist ja in viel höherem Maße zu reden als von einer wirtschaftlichen Not.

(Lebhafte Zustimmung.)

Nur ein interessantes Charakteristikum für unsere heutige großstädtische Presse! Vor Wochen fand hier in Berlin ein Ereignis von welthistorischer Bedeutung statt, nämlich die Hochzeit des Schwergewichtsmeisters und Boxers Hans Breitensträter.

(Heiterkeit.)

Die großstädtische Presse überpurzelte sich geradezu in begeisterten langen Schilderungen dieses für das deutsche Volk bedeutungsvollen Momentes, und der "Berliner Lokalanzeiger" beginnt seine Schilderung mit den Worten:

Hell erleuchtete Kirchenfenster, weithin hallendes Glockengeläut
.

(Heiterkeit.)

Hans Breitensträter führt seine Braut zum Altar; ein Menschenandrang wie zu dem Fest eines Fürsten. Dieser blonde Boxmeister im Schwergewicht wird wie ein Volksheld gefeiert-
So geht es weiter ad infinitum.
Wie christlich demütig der blonde Hans sein Haupt unter der segnenden Hand des Pfarrers beugt!

(Große Heiterkeit.)

Der "Berliner Lokalanzeiger" schließt seinen langen Artikel mit den Worten: So wollen wir mit dem deutschen Volk die Hochzeit seines blonden Lieblings Hans Breitensträter feiern.

(Erneute Heiterkeit.)

Wenn der "Berliner Lokalanzeiger" solche Artikel bringt, dann wundert das niemand, der den Geist und den Leserkreis dieses Blattes kennt. Wenn aber ein Blatt wie zum Beispiel der "Berliner Börsen-Courier", ein Blatt, das doch politisch und literarisch durchaus ernst bewertet werden will, einen solchen langen Artikel über die Hochzeit Breitensträters bringt, dann muß man sich doch die Frage vorlegen: Wo ist da von der Not der Presse überhaupt die Rede?

(Sehr richtig!)


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Meine Damen und Herren! Sie erinnern sich an die Worte, die der Herr Reichskanzler Cuno in seiner ersten Rede hier ausgesprochen hat. Er hat gesagt: "Wir werden die Not und die schwere Zeit nur überwinden können, wenn jeder bereit ist, sein Letztes herzugeben und sein Äußerstes zu tun". Wohlan denn, der Worte sind genug gewechselt, die Arbeiterschaft will jetzt endlich taten sehen.

(Lebhafter Beifall links.)

Ist das die hohe Kulturmission, die in solchen Zeiten die deutsche Presse zu erfüllen hat? Wenn das deutsche Volk nicht nur physisch, sondern auch psychisch, sittlich und moralisch so schwer erkrankt ist, was tut da die deutsche Presse, um es so schnell wie möglich einer Gesundung entgegenzuführen?

(Zuruf von der Bayrischen Volkspartei.)

- Herr Kollege! Peccatur intra muros. peccatur et extra! In München wird genau so gesündigt wie in Berlin. Die "Münchener neuesten Nachrichten" bringen genau denselben Unsinn wie die Berliner Presse. Wenn man heute die Zeitung zur Hand nimmt und dort die aufgebauschten sensationellen Berichte aus dem Ruhrrevier steht - ganz im Sinne der Kriegsberichte seligen oder unseligen Angedenkens -, glaubt man wirklich, mit solchen Kriegsmethoden auch heute noch den Kampf siegreich zu Ende führen zu können?

(Sehr richtig! bei den Vereinigten Sozialdemokraten.)

Die Spuren von 1914 bis 1918 sollten uns doch schrecken. Wir brauchen heute am allerwenigsten eine Aufpeitschung der nationalen Instinkte.


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