1. Reichstag, Weimarer Republik


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Reichstag. - 32. Sitzung. Montag den 22. November 1920.

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Und deren Schuld wird nicht geringer, wenn an der ganzen unsauberen Schieberei etwa auch ein Levi beteiligt wäre. Die wahren Schuldigen an den heutigen Jammerzuständen sind die Saboteure der proletarischen Revolution, das sind diejenigen, die verhindert haben, daß das Proletariat die Macht, die es in Händen hatte, behielt, um eine grundsätzliche Umstellung der gesellschaftlichen Zustände herbeizuführen, das sind die, die diese proletarische Macht gewissenlos wieder in die Hände des Geldsacks hinübergespielt, sich zum Retter des Geldsacks aufgeworfen haben, das sind die, die die Arbeitsgemeinschaft mit dem Kapitalismus eingeführt haben und nun mit dem Kapital auf Gedeih und Verderb verbunden sind. Wer den Klassenstaat anerkennt und sich zum Lakaien dieses Klassenstaates hergibt, hat kein Recht, sich dann über den Miasmengeruch der Fäulniserscheinungen zu entrüsten. Er hat deshalb auch kein Recht, hier einen solchen Theaterdonner aufzuführen, wie wir ihn erlebt haben. Denn letzten Endes ist dieselbe Partei mitschuldig an allem, was in Deutschland eingetreten ist. Durch Ihre Kriegspolitik, durch Ihr Durchhalten, durch Ihre Nachkriegspolitik, durch Ihre antiproletarische und antirevolutionäre Politik, die Sie seit den Novembertagen 1918 getrieben haben, haben Sie Ihr vollgerüttet Maß von Schuld an den heutigen Zuständen zu tragen, die natürlich die heute hier besprochenen Fäulniserscheinungen in immer verstärktem Maße heraufbeschwören müssen. Im übrigen können Sie tun und lassen, was Sie wollen!19 Kurieren Sie ruhig weiter an Ihren Fäulniserscheinungen herum. Versuchen Sie weiter durch Ströme von Kölnisch Wasser den Leichengeruch, der aus allen Poren schwitzt, zu vertreiben.

(Lachen und Heiterkeit.)

Wir unsererseits werden alles tun, um Ihre Dunst- und Nebelschwaden zu zerreißen. Wir sind die Träger der Entwicklung, wir werden Ihren Schiebersumpf austrocknen! Wir werden eine neue, eine bessere Gesellschaftsordnung erkämpfen. Darauf können Sie sich verlassen!

(Beifall bei der U.S.P. Linke].)

Vizepräsident Dr. Bell: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Scheidemann.

Scheidemann, Abgeordneter:20 Meine Herren! Sie auf der Rechten haben im Anschluß an die Bemerkungen, die mein Freund Müller hier gemacht hat, als er die Liste vorlas, aufgejubelt, als Sie neben den sehr vornehmen Namen auch den Namen Levi hörten.21 Das war für Sie - ach Gott, wie bescheiden sind Sie geworden - besonders interessant, daß unter den vielen Prinzen und all den hochgestellten Herren auch ein Levi war. Ich weiß nicht, ob Sie sich darüber klar sind, was Sie Ihrer Partei mit dieser Antisemitelei antun, wenn Sie in dem Augenblick, wo ein Stammesgenosse des Besten, den Sie jemals hatten, einen Stahl, hier genannt wird,


19 S.1186C
20 S.1189A
21 S.1190C
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darüber in Jubel ausbrechen. Das ist kein Zeichen von besonderer Noblesse. Wir sind der Meinung,22 daß die Republik die größte Ursache hat, mit aller Rücksichtslosigkeit gegen Wucherer und gegen Schieber vorzugehen. "Mit der größten Rücksichtslosigkeit", sage ich. Ich für meine Person habe früher schon einmal gesagt: ich bin zwar prinzipiell ein Gegner der Todesstrafe, ich hätte aber nichts dagegen, wenn man die Wucherer und Schieber an die Laterne gehängt hätte.

Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf von Westarp.

Graf v. Westarp, Abgeordneter: 23 Ich behaupte, daß für die Herren Interpellanten der politische Zweck im Vordergrund stand. Den Herren sind nun einmal draußen im Lande ein Teil ihrer Felle weggeschwommen. Zur Propagierung ihrer Idee brauchen sie Agitationsmaterial und greifen, weil sie Positives nicht zu bieten haben, zu den alten Rezepten aufreizender Agitation zurück, die sich lediglich an Haß, an Neid und an Mißgunst wendet. Dazu brauchen sie auch das nicht gute, aber alte Thema des Hohenzollernhasses und der Hohenzollernfeindschaft. Das war der politische Zweck, der bei dieser Interpellation so scharf in den Vordergrund getreten ist. 24

(Sehr richtig! Rechts.)

Im Zusammenhang mit der heutigen Debatte will ich mich noch einmal für die Hohenzollern einsetzen, und ich meine, es liegt aller Anlaß dafür vor. 25

(Lebhaftes Bravo! Rechts.)

Wenn wir das hier tun, dann steht das nicht im Zusammenhang mit dieser Schieberaffäre, so geschieht es nicht, um irgendwelche Schiebereien zu decken, sondern es geschieht eben aus dem Grunde, weil die Sozialdemokratische Partei und ihre Presse diese ganze Angelegenheit ja nur ausgenutzt und hervorgerufen hat, um ihren Kampf gegen das Hohenzollernhaus zu führen.

(Lebhafte Zustimmung rechts. - Zurufe von den Sozialdemokraten.)

das ist der eigentliche politische Zweck der ganzen Aktion. Das ist das, was Ihre Presse und Ihre Redner draußen im Lande aus dem heutigen Tage werden entnehmen wollen. Die Sozialdemokratische Partei will hier etwas anderes als nationale Ethik, sie will vor allen Dingen den monarchischen Gedanken und das Hohenzollernhaus bekämpfen.

(Lebhafte Zustimmung rechts.)

Das ist der Zweck. Was denken Sie eigentlich mit dieser Kampfesweise zu erreichen? 26 Was bezwecken Sie mit diesen Dingen? Ich sage Ihnen: die Entwicklung der deutschen Republik, wie sie seit dem 9. November 1918 eingetreten ist, ist nicht geeignet, die Erinnerung an die Geschichte der 500 Jahre auszulöschen, die Geschichte des


22S. 1190D
23S. 1191D
24S. 1192A
25S. 1194C
26S. 1194C

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