1. Reichstag, Weimarer Republik


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Reichstag. - 32. Sitzung. Montag den 22. November 1920.

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verbreitet, auf denen der Papst im Gefängnis dargestellt war, auf Stroh liegend. Auf diese Weise sollten die Herzen gerührt werden, damit der Peterspfennig recht reichlich fließe! Genauso machen Sie es jetzt. Genauso stellen Sie es jetzt so dar, als ob die arme Hohenzollernfamilie in der Verbannung kaum das trockene Brot zu essen habe, als ob sie nicht wisse, wie sie sich ernähren könne, wenn ihre Frauen nicht so gütig wären, hin und wieder ein Liebespaket nach Holland zu schicken. Ach, meine Damen und Herren, soweit ich unterrichtet bin, besitzt der Chef des Hohenzollernhauses zurzeit noch immer ein Schloß, und hier in Berlin gibt es viele, die nicht einmal ein Zimmer besitzen,

(lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten und der U.S.P.)

und soweit ich unterrichtet bin, besitzt der Chef des Hohenzollernhauses noch einen Hofstaat, den er kleidet und ernährt. Hier aber in Deutschland gibt es zahlreiche Familien, die sich selbst und ihre Kinder nicht ernähren und zu kleiden in der Lage sind.

(Erneute lebhafte Zustimmung links.)

Sie werden mir doch nicht etwa erzählen wollen, daß der ehemalige Kronprinz des Deutschen Reiches drüben in Holland am Notwendigsten Mangel leide. Wenn es wahr ist - er ist noch ein junger und frischer Mann - dann soll er arbeiten,

(stürmische Zustimmung bei der U.S.P.)

und meine Fraktion ist bereit, mit sich darüber reden zu lassen, ob wir das Erwerbslosen-Unterstützungsgeld auch auf ihn ausdehnen können.29

(Erregte Pfuirufe rechts. - Lachen bei der U.S.P.)

- Warum rufen Sie "Pfui"? Ist dieser Kronprinz denn nicht ebenso erwerbslos wie zahlreiche andere? Vielleicht können Sie ja sagen, daß er ein schuldloser Arbeitsloser ist. Trotzdem sind wir bereit, ihn zu unterstützen.

(Sehr gut! bei der U.S.P. - Unruhe rechts.)

Meine Herren, Sie würden diese Argumente von unserer Seite nicht hören, wenn Sie hier nicht fortgesetzt den Versuch machten, das Elend und die Armut dieser Familie, für die man beinahe am liebsten geneigt wäre, eine kirchliche Kollekte zu veranstalten

(sehr gut! bei der U.S.P)

an die Wand zu malen. Ganz gewiß, ein moralisches Unglück ist über das Haus Hohenzollern gekommen. Aber wir stehen nun einmal auf dem Standpunkt: das Haus Hohenzollern hat dieses moralische Unglück zum guten Teil selbst verschuldet,

(stürmische Zustimmung bei den Sozialdemokraten und der U.S.P.)

und wenn noch jemand anders die Schuld an seinem Unglück trägt, dann sind es diejenigen, die es heute mit schönen Redensarten verteidigen.

(Stürmische Zustimmung bei den Sozialdemokraten und der U.S.P.)

Es ist ja edel, nach dem Schillerschen Wort zu handeln: Wenn des Liedes Stimmen schweigen Von dem überwundnen Mann, Dann will ich für Hektoren zeugen.


29 S. 1198A
vorige

Der Sohn des Tydeus, Herr Graf Westarp, hat lange gewartet, bis er den Mut wiedergefunden hat, für den Hektor zu zeugen.

(Lebhafte Zustimmung bei der U.S.P.)

Unmittelbar nach der Revolution hielt er es noch nicht für opportun. Er hielt es noch nicht für opportun zu einer Zeit, als unmittelbar nach der Revolution die "Kreuzzeitung" ihre nationale Flagge einzog und an ihrem Kopf den Spruch "Mit Gott für König und Vaterland" beseitigte,

(hört! Hört! Bei den Sozialdemokraten und der U.S.P.)

als die "Kreuzzeitung" sich damals auf den Boden der gegebenen Verhältnisse, wie man das so schön sagt, stellte. Er hielt es nicht für opportun, zu einer Zeit, als auch zu uns, die wir, die Unabhängigen Sozialdemokraten, in den Regierungen saßen, zahlreiche Vertreter des alten bodenständigen Adels von Preußen kamen, uns um irgendwelche Gefälligkeiten zu bitten.

(Erregte Zurufe rechts.)

Ich wiederhole also:30 damals, zu jener Zeit, hat man nicht für den überwundenen Mann gezeugt, da hat es Graf Westarp nicht für unter seiner Würde gehalten, seine politischen Artikel zum Besten zu geben in einem Blatt, das eben so kläglich die nationale Flagge herabgeholt hatte. Warum ging damals Ihr Eifer und Ihre Kühnheit nicht so weit, eine Lanze für das Haus Hohenzollern zu brechen?

(Zuruf rechts: Die Setzer wollten nicht!)

- Die Setzer wollten nicht?

(Große Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.)

Vielleicht werden Sie noch behaupten, die Feder habe sich dagegen gesträubt.

(Erneut große Heiterkeit.)

Bleiben Sie doch mit Ihren Metzchen fort! Sie waren damals gern bereit, sich auf den Boden der Tatsachen zu stellen, und wenn Sie von den Rechten heute hier auftreten und Reden halten, die uns stark an alte Kaiser-Geburtstagsreden in Militärkasinos und bei Kriegervereinsfesten erinnern, wenn Sie heute hier auftreten, um Ihr Bekenntnis zur Monarchie herzubeten, so wissen Sie sehr genau oder glauben es zu wissen, daß die Zeiten inzwischen für Sie sich gebessert haben, und daß die Sache ungefährlich geworden ist.

(Sehr richtig! Bei den Sozialdemokraten.)

Ich bedaure jene Dynastien, die auf die Freundschaft der Leute angewiesen sind, die den Mut zur Bekundung dieser Freundschaft erst bekommnen, wenn sie keine Gefahr mehr in dieser Bekundung sehen.

(Erneute Zustimmung bei der U.S.P.)

Vizepräsident Dr. Bell: Das Wort hat der Herr Reichsfinanzminister.

(Zuruf rechts.)

Dr. Wirth, Reichsfinanzminister der Finanzen: - Die Rechte begrüßt es mit "um Gottes Willen", wenn ich hierher treten. Ich danke dafür..- 31 Meine Damen und Herren! Ich bin verpflichtet,32 dem Herrn Abgeordneten Höllein noch auf eine Frage zu
30 S. 1198D
31 S. 1199C
32 S. 1199D

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