1. Reichstag, Weimarer Republik


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Müller (Franken), Abgeordneter: Meine Damen und Herren! Wir haben erst zuletzt wieder in der französischen Kammer gehört, daß der frühere französische Kriegsminister Lefèvre die Behauptung aufgestellt hat, daß in Deutschland zwei Millionen Soldaten unter Waffen stünden. Diese Behauptung ist falsch, aber leider muß zugegeben werden, daß sich täglich in Deutschland Dinge ereignen, die den Anlaß zu solchen Behauptungen geben. Trotz der Bemühungen der Reichsregierung die deutsche Bevölkerung zu entwaffnen, sind noch ungeheuer viele Waffen versteckt.

(Zuruf rechts: Ja! Bei den Kommunisten!)

- Nicht bei den Kommunisten! Sondern bei Ihnen! Oder wird die Kaserne in Ratzeburg, wo unlängst eine große Anzahl an Gewehren, Maschinengewehren und Minenwerfer gefunden worden von Kommunisten verwaltet? Erst auf eine Anzeige hin sind sie ausgehoben und verschrottet worden. Ähnlich sieht es auf den deutschen Gutshöfen und Rittergütern aus. Wie oft ist es vorgekommen, daß Landarbeiter Anzeige gegen ihre Herren erstattet haben und man fand Tausende Gewehre bei ihnen versteckt. Wie oft ist es schon vorgekommen, daß die Feststellungskommission einen Blick in die Scheune werfen wollte, und anstatt des Mähdreschers dort einen Minenwerfer vorfand? Solange diese Dinge nicht abgestellt sind, werden Levèvre und seine Freunde immer wieder so tun, als seien die Führer der deutschen Bürgerwehren, Escherich und Konsorten, Männer vom Format eines Scharnhorst und Gneisenaus, und planten nichts anderes, als den Revanchekrieg um so den Versailler Vertrag zu zerreißen. Nun muß ich mit einigen Sätzen noch auf die Vorgänge in Oberschlesien eingehen. Es wird behauptet und es gibt auch in der Tat einige Anzeichen dafür, daß es in den Abstimmungsgebieten zu polnischen Angriffen kommen wird. Aus diesem Grund hat man in den östlichen Provinzen Stammrollen ausgelegt, um die Bevölkerung zu mobilisieren und zu bewaffnen. Es sind ja dort genügend Waffen versteckt. Aber sollen wir wirklich glauben, daß Polen nur zum Gefallen Frankreichs im Osten den "Gendarmen" spielen soll, für den Fall, daß wir die Pariser Bedingungen nicht akzeptieren sollten. Sollen wir wirklich glauben, daß Polen nur für Frankreich auf Jahrzehnte die guten Beziehungen zu Deutschland aufs Spiel setzen wollen? Meine Damen und Herren! Solche Gerüchte gab es auch vor der Abstimmung am 20. März und es hat keine Angriffe gegeben, warum sollte an den Gerüchten nun etwas wahres sein? Ich sehe im Auslegen der Stammrollen für Oberschlesien eher eine Gefahr als einen zukünftigen Schutz. Unsere militärischen Kreise dürfen sich doch nicht ernsthaft einbilden, im Osten Krieg führen zu können. Begreifen sie denn nicht, daß Krieg im Osten automatisch Krieg im Westen bedeuten würde? Es wäre ein Wahnsinn im Osten Tausende von Menschen Opfern zu wollen, wo man doch weiß, daß man gegenüber Gegnern, die über Flugzeuge und Schwerkampfwaffen verfügen, nichts ausrichten kann. Wir verlangen deshalb, daß dieser grobe Unfug der Probemobilmachung sofort eingestellt wird. Wir verlangen von allen Arbeitern, sich in keiner Weise dazu verleiten zu lassen, in Organisationen Mitglied zu


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werden. die zu militärischen Zwecken gegründet wurden. Diese Organisationen sind ungesetzlich. Die Arbeiterschaft hat die Pflicht, zu verhindern, daß irgendein größenwahnsinniger Militär- oder Zivilstratege im Osten Deutschland von neuem in kriegerische Abenteuer verwickelt. Meine Damen und Herren! Der bewaffnete Selbstschutz in Oberschlesien, darüber besteht überhaupt kein Zweifel, ist nur eine Maske. Es geht darum, die Deutschnationalen gegen das Volk zu bewaffnen. Diese selbsternannten Wehrverbände sind Organisationen der Konterrevolution. Auch aus diesem Grund müssen alle Waffenlager dort ausgehoben und verschrottet werden. Die Deutschnationalen scheinen derzeit die Entwaffnung der Wehrverbände mehr zu fürchten, als die Reparationsfrage. Auch der Blick nach Bayern lehrt uns, daß die rechtswidrigen Wehrverbände besser ausgerüstet sind als die Reichswehr. Allein in Bayern sind in den Wehrverbänden 140.000 Gewehre registriert, 1.000 Maschinengewehre, 44 leichte Geschütze und 34 Minenwerfer. Keiner wird bestreiten können, daß diese militärisch aufgezogenen Organisationen mit dem Friedensvertrag nicht vereinbar sind. Die bayrische Regierung hat bisher keinerlei Anstalten gemacht, diese Leute zu entwaffnen. Die Gefahr droht, daß Frankreich nach dem 1. Mai deswegen Sanktionen gegen das Reich verhängt und das Ruhrgebiet besetzt. Wir fordern deshalb die Reichsregierung auf, hier endlich tätig zu werden.

(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.- Zurufe rechts.)

Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Helfferich.

(Ah! Ah-Rufe links.)

Dr. Helfferich, Abgeordneter: Meine Damen und Herren! In diesem Hause habe ich schon manches Mal in schwerer Stunde gesprochen, früher als Staatssekretär und dann als Abgeordneter. Aber ich muß sagen, mit schwererem Herzen als heute bin ich die Treppe zu der Rednertribüne kaum jemals hinaufgestiegen.

(Lachen und Zurufe links.)

Denn ich bin mir der Verantwortung der Stunde bewußt.

(Erneutes Lachen und Zurufe links.)

Ich glaube, ein Verantwortungsgefühl zu besitzen, das dem Herrn Vorredner offenbar vollständig abgeht.

(Entrüstete Zurufe bei den Sozialdemokraten.-Fortgesetzte Zurufe links.)

Ich glaube, es ist der Gipfel der Unverantwortlichkeit, wenn in dieser Stunde der Führer einer großen Partei des Reichstags

nichts anderes zu sagen weiß als Dinge, die, mag er es wollen oder nicht, dazu geeignet sind, die Verantwortung für die furchtbare Lage, in der heute daß deutsche Volk sich befindet, auf das deutsche Volk und seine Regierung zu wälzen.

(Erneute Zurufe bei den Sozialdemokraten.- Große Unruhe.)

Damit besorgen Sie, ob Sie es wollen oder nicht die Geschäfte Frankreichs.


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